Der 4+1 Gründungsprozess

Wie lässt sich eine Gründungsunterstützungsstruktur für Menschen mit Migrationshintergrund, die den Anspruch hat individuell, bedarfsorientiert und zielgerichtet zu sein, strukturieren und beschreiben?

Die IQ Fachstelle Migrantenökonomie hat ein bewährtes Modell um migrationsspezifische Anforderungen weiterentwickelt, um migrantische Gründerinnen und Gründer gezielt anzusprechen und im Gründungsprozess zu unterstützen.

„Wir haben das Modell des Verbands Deutscher Gründungsinitiativen (VDG), welches eine Orientierungs-, Planungs-, Start- und Konsolidierungsphase vorsieht, um eine niedrigschwellige Ansprache für Zugewanderte (+1) ergänzt und die jeweiligen Prozessphasen um migrationsspezifische Anforderungen weiterentwickelt“, so Dr. Ralf Sänger, Leiter der Fachstelle Migrantenökonomie. Den existierenden Unterstützungsstrukturen mangelt es häufig an zielgruppenspezifischen und bedarfsgerechten Angeboten für Menschen mit Migrationshintergrund und migrantische Gründerinnen und Gründer fühlen sich von deren Angeboten nicht angesprochen. Der 4+1 Gründungsprozess stellt den Gründungsunterstützungsstrukturen sowie den Beraterinnen und Beratern einen systematischen Zugang und migrationsspezifische Angebote zur Verfügung. Im Folgenden werden die einzelnen Prozessphasen des 4+1 Gründungsprozesses beschrieben.

Zugang

Vielen potentiellen migrantischen Gründerinnen und Gründern sind die vorhandenen Unterstützungsstrukturen nicht präsent. Daher ist ein pro-aktives Zugehen auf Migrantinnen und Migranten erforderlich, und dies am besten zielgruppenspezifisch und interkulturell. Alle Wege der Ansprache, persönliche, schriftliche und digitale sind auszuschöpfen. Der Bekanntheitsgrad in den migrantischen Communities ist unbedingt zu erhöhen, Schlüsselpersonen sind zu gewinnen. Dabei hilft ein interkulturelles Verständnis: deutsche Internetauftritte sind nach interkulturellem Verständnis oft zu textlastig, in anderen Kulturen wird mehr mit optischen Elementen gearbeitet. Deshalb: Einfache Sprache und wenig Text. Bilder sprechen lassen!

Orientierung

In dieser Prozessphase werden die migrantischen Gründerinnen und Gründer grundsätzlich über die Chancen und Risiken der Selbstständigkeit sowie über die Anforderungen auf dem Weg zur Selbständigkeit informiert. In Vier-Augen-Gesprächen werden die persönlichen und sozialen Eigenschaften, sowie die fachlichen und unternehmerischen Kompetenzen erörtert und die gründungswilligen Personen zu einer Selbstreflektion angeregt. Zu einer gelungenen Unterstützung gehört auch eine Abberatung, wenn deutlich wird, dass die gründungswilligen Personen zum jetzigen Zeitpunkt entscheidende Anforderungen nicht aufweisen. Wichtig: ein ressourcenorientierter Beratungsansatz mit Blick auf die Kompetenzen und Fähigkeiten der gründungswilligen Person.

Planung

In dieser Prozessphase werden die Gespräche intensiver und das Vorhaben konkreter. Neben Beratungsgesprächen können fachliche und unternehmerische Qualifizierungen hinzukommen. Außerdem erstellen die migrantischen Gründerinnen und Gründer, unterstützt von den Beraterinnen und Beratern, ihr Unternehmenskonzept. Laut Rainer Aliochin, Gründungsberater beim AAU e.V., kennen sich migrantische Gründungsinteressierte nur unzureichend mit der deutschen Unternehmenskultur, steuerlichen und buchhalterischen Anforderungen, dem deutschen Markt oder auch den Fördermöglichkeiten, wie sie der Europäische Sozialfonds (ESF) oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) anbieten, aus. 

Start

In der Startphase wird die Gründungsidee zum realen Unternehmen. Das Gewerbe wird angemeldet, die Steuernummer wird beim Finanzamt beantragt, Räume werden angemietet, Waren eingekauft, Kunden angesprochen. Die Beraterinnen und Berater unterstützen ganz konkret bei diesen Aufgaben und Formalitäten, helfen bei der Gewerbeanmeldung oder begleiten die migrantischen Gründerinnen und Gründer zum Bankgespräch. In den ersten Wochen nach erfolgter Gründung erfolgen ein individuelles Coaching sowie die Vermittlung von Fachkenntnissen, meist in gesetzlichen, steuerlichen oder finanziellen Bereichen.

Konsolidierung und Wachstum

Aus den Gründungswilligen sind migrantische Unternehmerinnen oder Unternehmer geworden. Mittels eines individuellen und maßgeschneidertem Coachings unterstützen die Beraterinnen und Berater die migrantischen Unternehmerinnen und Unternehmer bei der Konsolidierung und ggf. dem Ausbau der Unternehmung. „Zu einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung gehört es ebenso, kritisch die Kerngrößen zu analysieren, damit die migrantischen Unternehmerinnen und Unternehmer sich beim Wachstum nicht übernehmen“, so Sänger.

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