Fehlende Handwerker*innen bremsen Baubranche aus

Mit dem IQ Projekt "Fahrplan Fachkräftesicherung" berät die Berliner MO "Club Dialog" Unternehmen zur Anwerbung von Arbeitskräften aus Drittstaaten. Herausfordernd ist dabei insbesondere die Anerkennung von nicht-reglementierten dualen Berufen.

Natalia Roesler, Lenke Simon

CLUB DIALOG e.V. ist eine der größten und ältesten Migrant*innenorganisationen in Berlin. Der Verein wurde 1988 in Ost-Berlin gegründet, um den gesellschaftlichen Dialog zwischen russischsprachigen und einheimischen Berliner*innen anzuregen und die Integration der russischsprachigen Einwanderer*innen zu fördern. Im Laufe von mehr als drei Jahrzehnten hat Club Dialog eine Struktur aufgebaut, die eine umfassende nationenübergreifende Integrations- und Bildungsarbeit in mehreren Sprachen und für alle Generationen ermöglicht.

Neben der Sozial- und Verweisberatung sowie kulturellen Aktivitäten gehören zu den wichtigsten Tätigkeitsbereichen des Vereins Projekte der Seniorenarbeit und der politischen Bildung, ein Kinder-, Jugend- und Familienzentrum, das Projekt "Freiwilliges Soziales Jahr interkulturell", der Bundesfreiwilligendienst sowie Bildungs- und Aktivierungsmaßnahmen des Jobcenters.

Seit 2011 ist CLUB DIALOG e. V. mit dem Projekt "FAbA-Fahrplan Anerkennung beruflicher Abschlüsse" ein Teil des IQ Landesnetzwerks Berlin und bietet für Einwanderer*innen Beratung und Unterstützung beim Anerkennungsverfahren an. Eine so breite Palette an Angeboten sichert dem Verein nicht nur eine breite Reichweite in unterschiedlichen Zuwander*innencommunities, sondern sorgt auch für ganzheitliche und umfassende Betreuung eines jeden Kunden.

Mit "FFB – Fahrplan Fachkräftesicherung in Berlin" ist im September 2020 ein neues Projekt gestartet, das Arbeitgebern von kleinen und mittelständischen Unternehmen in Berlin eine erste Anlaufstelle bei Fragen zur Beschäftigung von Fachkräften aus Drittstaaten bietet. Ob es um Fragen zum Aufenthalt, zum Arbeitsmarktzugang, zur Anerkennung von Berufs- und Studienabschlüssen oder zu Qualifizierungsmöglichkeiten geht: Diese Informationen sind bei CLUB DIALOG aus einer Hand zu haben - dank der Einbettung in das weitverzweigte Netzwerk von CLUB DIALOG e. V. und der engen Verzahnung mit dem Projekt "FAbA".

Neben Deutsch beraten die Mitarbeiter*innen auch auf Russisch, Polnisch, Ukrainisch, Ungarisch, Serbisch, Englisch, Kurdisch und Arabisch und decken mit ihrem Angebot einen großen Teil der einwanderungsinteressierten Fachkräfte aus dem (nicht nur) osteuropäischen Raum sowie deren potenzielle Arbeitgeber in Berlin ab.

Ungeahnte Stolpersteine

Wie wichtig diese gebündelte Sprach- und Fachexpertise zum Gelingen des Einwanderungsverfahrens ist, zeigt etwa der Fall einer Krankenschwester aus Bosnien und Herzegowina, deren Einreise nach Deutschland aufgrund eines Übersetzungsfehlers gescheitert war.

Der Arbeitgeber der Ratsuchenden wandte sich an unser Projekt, nachdem er das beschleunigte Fachkräfteverfahren beantragt und dann fast ein Jahr vergeblich auf einen Bescheid von der Anerkennungs- bzw. von der Ausländerbehörde gewartet hatte. Auf Nachfrage bei den betreffenden Behörden stellte sich heraus, dass der Antrag noch gar nicht angenommen war, da von der Fachkraft kein Nachweis über eine abgeschlossene Berufsausbildung erbracht wurde.

Nach detaillierter Durchsicht der Berufsabschlusszertifikate konnte eine erfahrene Kollegin aus der Anerkennungsberatung einen gravierenden Übersetzungsfehler ausfindig machen. Es handelte sich in diesem Fall um ein einziges Wort, dieses eine Wort negierte jedoch in der deutschen Übersetzung die Befähigung zum Beruf und einen eindeutigen Berufsabschluss.

Trotz der Abkürzung durch das beschleunigte Verfahren bleibt der Weg zu einer Beschäftigung auf den deutschen Arbeitsmarkt also "sportlich" und es lauern viele ungeahnte Stolpersteine. Die Zusammenstellung der richtigen Unterlagen ist nur einer davon, Formfehler in der Antragstellung ein anderer. Ob das beschleunigte Verfahren im Einzelfall das passende Instrument für das eigene Vorhaben darstellt, muss vorher gut durchdacht werden. Schon, um finanziellen Einbußen und enttäuschten Hoffnungen zuvorzukommen.

Eine frühzeitige Beratung bei IQ Berlin ist daher aus mehrfacher Hinsicht für Arbeitgeber enorm wichtig. Sie lönnen die neuen Handlungsoptionen, die das Fachkräfteeinwanderungsgesetz bietet, gewinnbringend für sich nutzen. Das Einwanderungsverfahren für den zukünftigen Mitarbeiter lässt sich tatsächlich verkürzen; vermeidbare Fehler gefährden nicht die rasche Bearbeitung des Antrags.

Erfreulicherweise bleiben bei einer guten Vorbereitung die Erfolge nicht aus. Neben der Sprach- und Fachexpertise trägt die gute Vernetzung zu den Berliner Institutionen und Multiplikator*innen der Branche dazu bei. Sie sind an der Umsetzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes beteiligt und von ihrem Zusammenspiel hängen die Ergebnisse im Einzelfall ab.

Den Knotenpunkt bildet der Business Immigration Service (BIS) des Landesamts für Einwanderung. Dieser Zusammenschluss aller für Visa- und Aufenthaltsfragen relevanten Akteure aus Wirtschaft und Verwaltung wurde im Zuge des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes neu gegründet. An dem Berufsanerkennungsverfahren sind wiederum Kammern, Ministerien und Landesämter beteiligt, die Bundesagentur für Arbeit wirkt an der Prüfung des Arbeitsverhältnisses mit. Darüber hinaus sitzen die Zentrale Servicestelle Berufsanerkennung (ZSBA) und natürlich die Botschaften in den jeweiligen Ländern mit im Boot.

Nicht zu vergessen die unzähligen Partnerprojekte in angrenzenden Themengebieten, wie etwa Beratung zu konkreten Anpassungsqualifizierungen, zu Vielfalt und Integrationsmanagement im Betrieb, zu Rassismus und Antidiskriminierung. Angesichts der bunten Netzwerk-Landschaft und den unzähligen kleinen Rädchen, die ineinandergreifen müssen, damit das Getriebe in Gang kommt, ist die Implementierung des Gesetzes eine nicht unerhebliche Herausforderung für die neu entstandenen Behörden im gesamten Bundesgebiet.

Berlin hat diese – trotz Pandemie – im ersten Jahr erstaunlich gut gemeistert. So konnte auch in unserem Projekt FFB seit dem Start eine ganze Reihe von Unternehmen – überwiegend in den Bereichen IT und Ingenieurswesen, wie auch in der Gesundheitsbranche – reibungslos und erfolgreich durch das beschleunigte Verfahren begleitet werden.

Das Nadelöhr bleibt aber auch in Berlin weiterhin die Anerkennung von nicht-reglementierten dualen Berufen. Für sie gibt es im Ausland oft keine formale Ausbildung. Und auch keine noch so tiefgründige Beratung führt da zum Erfolg. Insbesondere die Bau- und Transportbranche sind stark davon betroffen.

Ein prägnantes Beispiel ist hierfür der Fall einer im Bereich Wohnungs- und Gewerbesanierung tätigen GmbH. Mit einem neu zusammengestellten Team aus neun ukrainischen Handwerkern wollte die Firma Anfang des Jahres 2021 einen Großauftrag komplett allein abwickeln, ohne Teilaufträge an Subunternehmen weitergeben zu müssen, wie es bislang der Fall gewesen war. Die Kandidaten konnten weder eine formale Ausbildung noch Deutschkenntnisse vorweisen.

Es blieb nur die Möglichkeit, mit einem Visum zu touristischen Zwecken einzureisen und in diesen drei Monaten einen Deutschkurs zu belegen. Anschließend sollte die Truppe an einem Kompetenztest bei MY SKILLS teilnehmen, um so längerfristig in Beschäftigung kommen zu können. Der Arbeitgeber verschickte daraufhin offizielle Firmeneinladungen zum Vorstellungsgespräch, kaufte die Flugtickets, mietete und zahlte die Unterkunft an, zurrte die Termine bei der Sprachschule fest.

Im Laufe des Verfahrens kamen allerdings auch weitere administrative Schwierigkeiten auf den Arbeitgeber zu. Unter Zeitdruck und um den Großauftrag nicht zu verlieren, schaute sich der Arbeitgeber auch parallel vor Ort in Berlin nach einem neuen Team um und wurde bei einer eingespielten italienischen Mannschaft fündig. Als es jedoch um die Vertragsbestimmungen ging, musste er leider feststellen, dass für Italiener als EU-Staatsbürger andere Regelungen gelten und sie im Unterschied zu den Fachkräften aus der Ukraine keine Deutschkenntnisse für eine Beschäftigung vorweisen müssen.

Da die italienischen Handwerker der deutschen Sprache nicht mächtig waren und der Arbeitgeber selbst nur Deutsch und Russisch spricht, war keinerlei Verständigung zwischen den beiden Parteien möglich. Die GmbH nahm Abstand vom Vorhaben und musste den Auftrag absagen.

In dieser Hinsicht ist durchaus dem OECD-Ökonomen, Dr. Thomas Liebig, zuzustimmen, der bezüglich der sich verändernden Arbeitswelten nach neuartigen Lösungsansätzen verlangt. Seinem Urteil zufolge muss Deutschland – wenn es nicht weiter zurückfallen will im Kampf um internationale Talente – die Hürde der formalen Anerkennung bei dualen Berufen beseitigen und bei der Auswahl der Fachkräfte informelle und grundsätzliche Kompetenzen stärker in den Fokus rücken.

Weitere Informationen

Informationen zur Migrant*innenorganisation Club Dialog e.V.: https://www.club-dialog.de/de/

Informationen zum IQ Projekt Fahrplan Fachkräftesicherung für Berlin: https://www.club-dialog.de/fahrplan-fachkraeftesicherung-fuer-berlin/

Über die Autorinnen

Dr. Natalia Roesler ist Geschäftsführerin von CLUB DIALOG e. V.

Lenke Simon ist Projektleiterin und Beraterin im Projekt "Fahrplan Fachkräftesicherung in Berlin".

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