Geflüchtet, um zu bleiben?

Das sozio-demografische Profil der ukrainischen Bevölkerung und die aktuellen ukrainischen Arbeitsmarktstatistiken - Teil 2

Im vorliegenden Beitrag stellt die IQ Fachstelle Einwanderung das sozio-demografische Profil der Bevölkerung in der Ukraine und die aktuellen Arbeitsmarktstatistiken aus der Ukraine dar, um eine bessere Einordnung zukünftiger Potenziale ukrainischer Geflüchteter für den deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Juli 2022

Redaktion: Paul Becker; Doritt Komitowski
Kontakt: IQ Fachstelle Einwanderung, fe(at)minor-kontor.de

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1 Einleitung

Seit dem Ausbruch des Krieges sind laut UNHCR insgesamt 4.992.933 Menschen als Geflüchtete aus der Ukraine in den europäischen Ländern registriert worden. Nach Deutschland kamen bisher insgesamt 780.000 Menschen (Stand 21.06.2022). Für viele, die seit dem Kriegsausbruch nach Deutschland geflohen sind, wurde mit der Umsetzung der sogenannten „Massenzustrom-Richtlinie (2001/55/EG)“ der EU eine mehrjährige Aufenthaltsmöglichkeit und -perspektive geschaffen. Denn mit der Erteilung der neuen Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG haben Geflüchtete aus der Ukraine ab sofort einen unbeschränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Es kann davon ausgegangen werden, dass ein Teil der Geflüchteten mehr als nur eine kurze Zeit in Deutschland bleiben wird. Somit bedarf es für diese Menschen auch einer mittel- bzw. langfristigen Perspektive zur Teilhabe an Gesellschaft, Bildung und Arbeit (BMAS 2022).

In dem ersten Teil der Analyse „Geflüchtet um zu bleiben? Ein Plädoyer für qualifikationsadäquate Beschäftigung und Vermeidung von Prekarisierung für ukrainische Geflüchtete“ (Becker & Komitowski 2022) haben wir uns die bisherige Arbeitsmarktintegration von in Deutschland lebenden Ukrainer*innen angeschaut. Im Hinblick auf die zukünftigen Potenziale wollen wir nun einen genaueren Blick auf die Potenziale der Menschen werfen, die jetzt aus der Ukraine nach Deutschland kommen.

Erste genauere Informationen und Daten hat das Bundesministerium des Inneren und für Heimat (BMI) Ende März 2022 mit einer Befragung unter insgesamt 1.936 ankommenden Geflüchteten aus der Ukraine geliefert. Aufgrund des verhängten Kriegsrechts in der Ukraine ist es nicht weiter verwunderlich, dass es sich bei 84 % der geflohenen Erwachsenen um Frauen handelt, von denen 58 % gemeinsam mit ihren Kindern geflüchtet sind (BMI 2022). Das Durchschnittsalter der für das BMI befragten Geflüchteten liegt bei 38,2 Jahren, 92 % von ihnen gingen in der Ukraine einer Beschäftigung nach oder waren in Ausbildung (ebd.). Themen wie die Kinderbetreuung als Vorbedingung für die Arbeitsaufnahme und Teilzeitarbeit als häufige Form der Arbeit werden somit bei der Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Geflüchteten im Vordergrund stehen (OECD 2022). Die ersten Zahlen deuten weiterhin auf hohe formale Qualifikationen hin, wobei es unklar ist, ob die Bildungsabschlüsse den deutschen Anforderungen entsprechen (ebd.). Rund 20 % haben nach Selbstauskunft im Bildungs- und Gesundheitssektor gearbeitet - Berufsgruppen mit sehr hohem Anteil an reglementierten Berufen in Deutschland. Weiterhin gibt es Hinweise auf den abnehmenden Qualifikationsstand bei den Geflüchteten, die später geflohen sind (ebd.).

Werner et al. vom Institut der Deutschen Wirtschaft untersucht das Berufsbildungssystem in der Ukraine und schlussfolgert, dass

„für das Anerkennungsverfahren vor allem die ukrainischen Berufsabschlüsse „Qualifizierte Arbeiterin /Qualifizierter Arbeiter“ sowie „Junior Spezialistin/Junior Spezialist“ der dritten Stufe relevant sind, denn diese besitzen aufgrund der zugrunde liegenden Curricula und der bisherigen Erfahrungen aus der Anerkennungspraxis das höchste Anerkennungspotenzial. Die Ausbildung ist überwiegend vollzeitschulisch organisiert und wird durch Praxisphasen ergänzt.“ (Werner et al 2022: 9)

Um Unternehmen, Gesellschaft und Politik auf den Prozess der Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteten gut vorzubereiten, sind genauere Daten und Erkenntnisse zu den mitgebrachten Qualifikationen und Potenzialen auf der einen Seite sowie zu der Aufnahmefähigkeit der regionalen Arbeitsmärkte auf der anderen Seite dringend erforderlich. Wer sind die Geflüchteten, die aus der Ukraine aktuell nach Deutschland kommen, hinsichtlich Alter und Geschlecht, familiärer Situation, Ausbildung und beruflicher Erfahrung? In welchen Berufsbereichen könnten sie ggf. aktuelle Bedarfe der Unternehmen in Deutschland decken? Derzeit ist es noch zu früh, um diese Fragen abschließend beantworten zu können. Erste Aussagetrends konnte jedoch die Untersuchung der Arbeitsmarktintegration von Zugewanderten aus der Ukraine in Deutschland bzw. die Analyse des sozio-demografischen Profils der ukrainischen Bevölkerung und den ukrainischen Arbeitsmarktdaten vor dem Krieg aufzeigen.

Im ersten Teil unserer Analyse (Becker & Komitowski 2022) erörterten wir die zum Stichtag Mitte 2021 bisherigen Tendenzen der Arbeitsmarktintegration von vor dem Krieg nach Deutschland zugewanderten ukrainischen Staatsangehörigen wie das sozio-demografisches Profil, die Arbeitsmarktbeteiligung und das Einkommensniveau.

Im vorliegenden Beitrag stellt die IQ Fachstelle Einwanderung im interaktiven Online-Format das sozio-demografische Profil der Bevölkerung und die aktuellen Arbeitsmarktstatistiken aus der Ukraine dar, um eine bessere Einordnung der zukünftigen Potenziale der ukrainischen Geflüchteten für den deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Hinweis: Das statistische Amt der Ukraine exkludiert in seiner Statistik Daten und Zahlen aus den vorübergehend besetzten Gebieten der autonomen Republik Krim, die Stadt Sevastopol und ab 2015 der vorübergehend besetzten Gebieten Donezk und Luhansk („[…] temporarily occupied territories of the Autonomous Republic of Crimea, the city of Sevastopol, from 2015 - a part of temporarily occupied territories in the Donetsk and Luhansk regions.“).

Daher sind diese nicht Teil der vorliegenden Untersuchung gewesen.


2 Bevölkerungsentwicklung in der Ukraine nach Geschlecht zwischen 2010 und 2020

Nach oben

Die Ukraine sieht sich genauso wie die Bundesrepublik mit einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung konfrontiert. Zwischen 2010 und 2020 sank die Zahl der Frauen 24.675.525 auf 22.389.339 mit ‑9,3 % um 0,9 %-Punkte stärker als die Zahl der Männer im gleichen Zeitraum. Mit 53,6 % der Gesamtbevölkerung stellten die Ukrainerinnen 2020 jedoch weiterhin die Mehrheit der Bevölkerung dar.


3 Bevölkerungsstruktur der Ukraine nach Geschlecht und Alterskohorten am 01.01.2020

Die größten Alterskohorten der Ukrainerinnen waren am 01.01.2020 die Kohorten der Frauen im Arbeitsfähigen Alter zwischen 30 und 39 Jahren sowie der Frauen im Vorruhestand im Alter von 55 bis 64 Jahren. Die Gesamtzahl der Kinder im Alter zwischen 0-14 Jahren lag im gleichen Jahr bei 6.386.756 Personen. Vor dem Hintergrund der Beschwerlichkeiten der Flucht ist davon auszugehen, dass insbesondere jüngere Ukrainerinnen und ihre Kinder den Weg nach Deutschland finden. Diese Vermutung wird durch die erste nicht-repräsentative Umfrage in Deutschland durch das BMI bestätigt (BMI 2022).


4 Bevölkerung der Ukraine nach Gebietskörperschaften (Oblast) am 01.01.2022

Mit Ausnahme der Region (ukr.: Oblast) Zhytomyr (auf der Grafik rot eingezeichnet) wiesen am 01.01.2022 gegenüber dem Vorjahr alle Regionen einen Anstieg der tatsächlichen Bevölkerungszahl auf, was unter anderem auf den Zuzug von Binnengeflüchteten seit 2014 zurückzuführen ist. Neben der Hauptstadt Kyiv verzeichneten die Regionen Lviv (Westukraine), Kharkiv und Donetsk (angrenzende Regionen der selbsternannten Volksrepubliken Donetsk und Luhansk) sowie Odesa (mit dem größten internationalen Hafen der Ukraine) die größte Zunahme. Viele der Binnengeflüchteten haben mittlerweile eine erneute Fluchterfahrung –diesmal ins Ausland – gemacht. Diese doppelte Traumatisierungserfahrung wird eine zeitnahe und umfassende psychologische Betreuung der Betroffenen erfordern.


5 Entwicklung der städtischen und ländlichen Bevölkerung in der Ukraine zwischen 2010 und 2020

2020 lebten 69,5 % aller Ukrainerinnen und Ukrainer in Städten. Insgesamt ist seit 2010 ein genereller Trend zu beobachten: Die städtische Bevölkerung in der Ukraine ist weniger stark geschrumpft als die ländliche Bevölkerung, so dass der Anteil der städtischen Bevölkerung 2020 ggü. 2010 um 0,9 %-Punkte angestiegen ist. Bezogen auf die Geflüchteten in Deutschland ist davon auszugehen, dass ein großer Teil aus den Städten nach Deutschland geflohen ist/flieht, was sich auch mit den Ergebnissen der BMI Umfrage deckt. Das erklärt die aktuelle Erfahrung und Beobachtung aus der Praxis, dass Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland überwiegend in den Städten und Ballungsregionen ihren Wohnsitz nehmen (möchten) und weniger auf dem Land und in den ländlichen Regionen.


6 Erwerbspersonen in der Ukraine 2021 und die Veränderung der Erwerbspersonenzahl gegenüber 2020

Die Erwerbspersonen setzen sich aus den Erwerbstätigen und den Erwerbslosen zusammen (Destatis 2022).

65,1 % bis 76,4 % aller Ukrainerinnen zwischen 25 und 39 Jahren waren 2021 erwerbstätig. Gegenüber 2020 nahm die Erwerbsbeteiligung von Frauen in dieser Altersgruppe allerdings ab, und zwar sowohl die absoluten Zahlen als auch der Anteil an der Gesamtbevölkerung. Der Anteil der Männer in der gleichen Altersgruppe war im Vergleich dazu wesentlich höher. Mögliche Erklärungen dafür sind höhere und dadurch längere Bildungszeiten der Frauen, häufigere Erziehungszeiten, Domestic Work und Tätigkeiten als helfende Familienangehörige. Die vom BMI bei ihrer Ankunft in Deutschland befragten Personen aus der Ukraine gaben zu 86 % an, in der Ukraine berufstätig gewesen zu sein. 57 % aller Befragten waren zwischen 18 und 39 Jahre alt; 28 % zwischen 40 und 49 Jahre (BMI 2022). Die Ergebnisse der nicht-repräsentativen Umfrage des BMI deuten darauf hin, dass es sich bei den weiblichen Geflüchteten aus der Ukraine insbesondere um Erwerbspersonen aus der Ukraine handelt (BMI 2022).


7 Beschäftigte in der Ukraine im arbeitsfähigen Alter nach ISCO-08 Berufsgruppen und Geschlecht 2021

Die International Standard Classification of Occupations in der Fassung von 2008 (ISCO-08) wurde von der International Labour Organisation (ILO) als Instrument für die amtliche Statistik und die international vergleichende Forschung konzipiert. Im Gegensatz zu den deutschen Berufsklassifikationen gruppiert die ISCO keine Berufe, sondern Tätigkeiten im Sinne von Aufgaben und Pflichten, die eine Person wahrnimmt. Diese werden entsprechend ihrer Ähnlichkeit anhand von zwei Dimensionen – skill level und skill specialisation – strukturiert: Das skill level wird in vier Stufen erfasst und spiegelt den Komplexitätsgrad der entsprechenden beruflichen Tätigkeit wider. Die skill specialisation ist ein berufsfachliches Kriterium, das die Art der ausgeübten Tätigkeit abbildet (Bundesagentur für Arbeit 2022).

Die meisten Ukrainerinnen waren 2021 in Dienstleistungsberufen, als Wissenschaftlerinnen oder Akademikerinnen bzw. als Technikerinnen oder in gleichrangigen nichttechnischen Berufen beschäftigt. Mit Ausnahme der Berufsgruppe Fachkräfte in der Landwirtschaft und Fischerei sanken 2021 gegenüber 2011 in allen anderen Berufsgruppen die Zahlen der beschäftigten Ukrainerinnen. Die geringsten Rückgänge verzeichneten die Berufsgruppen Wissenschaftler (auch: Akademiker) mit -3,3 % und Handwerks- und verwandte Berufe mit -4,5 %. Die größten Rückgänge verzeichneten auf der anderen Seite die Berufsgruppen Hilfsarbeitskräfte mit - 47,8 % sowie Anlagen- und Maschinenbediener sowie Montierer mit -43,7 %.


8 Regulär Beschäftigte in der Ukraine nach Wirtschaftszweig im Januar 2022

Im Januar 2022 zählte das statistische Amt der Ukraine in einer Umfrage unter juristischen Personen mit zehn oder mehr Beschäftigten insgesamt 7.137.100 regulär Beschäftigte in sechszehn Wirtschaftszweigen, insgesamt 1,7 % mehr als im Vorjahresmonat. Unter den sechszehn Wirtschaftszweigen wiesen im Januar 2022 nur die Wirtschaftszweige Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei, Fachliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen, Gastgewerbe und Sonstige Dienstleistungstätigkeiten sinkende Zahlen regulär Beschäftigter gegenüber dem Vorjahr auf. Der Wirtschaftszweig mit den meisten regulär Beschäftigten war das verarbeitende Gewerbe mit 1.755.200 Personen. Zu den restlichen Top-5 Wirtschaftszweigen zählten Erziehung und Unterricht (1.211.200 Personen); Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kfz (830.800 Personen); Gesundheit- und Sozialwesen (788.300 Personen) sowie Verkehr und Lagerei, Post- und Kurierdienste (601.000 Personen). Eine Aufschlüsselung nach Geschlecht stand leider nicht zur Verfügung. Mit den Wirtschaftszweigen Erziehung und Unterricht sowie Gesundheit- und Sozialwesen waren unter den Top-5 jedoch zwei Wirtschaftszweige, in denen in der Ukraine erfahrungsgemäß viele Frauen beschäftigt sind und die in Deutschland überwiegend zu den reglementierten Berufen zählen. Es ist davon auszugehen, dass unter den geflüchteten Frauen aus der Ukraine viele Beschäftigte aus den beiden Wirtschaftszweigen sein müssten.


9 Irregulär Beschäftigte in der Ukraine nach Wirtschaftszweig 2021

Labour force surveys (Arbeitskräfteerhebungen) sind eine der wichtigsten nationalen Haushaltserhebungen, die von den Ländern durchgeführt werden. Sie wurden mit dem Ziel konzipiert, amtliche nationale Statistiken über Arbeitskräfte, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit für Überwachungs- und Planungszwecke zu erstellen. Die Arbeitskräfteerhebungen sind die Hauptquelle hinter den Leitindikatoren des Arbeitsmarktes für die kurzfristige Überwachung sowie für strukturellere Informationen über die Zahl und die Merkmale der Erwerbstätigen, ihre Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen, die Aktivitäten der Arbeitslosen bei der Arbeitssuche usw.. Sie sind eine einzigartige Quelle für Daten über informelle Beschäftigung und werden zunehmend so konzipiert, dass sie durch Zusatzmodule Statistiken über unbezahlte Arbeit und andere verwandte Themen erstellen.

Arbeitskräfteerhebungen werden in der Regel kontinuierlich oder in kürzeren Abständen durchgeführt, um die kurzfristige Überwachung der Arbeitsmärkte und der Wirtschaft zu unterstützen. Wo dies nicht möglich ist, kann die Arbeitskräfteerhebung auf jährlicher oder seltener Basis durchgeführt werden. Die Arbeitskräfteerhebungsdaten liefern im Allgemeinen eine Momentaufnahme des Arbeitsmarktes zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem bestimmten Zeitraum (ILO 2022).

Den Ergebnissen des ukrainischen Labour Force Survey zufolge, waren 2021 durchschnittlich 3.061.600 Personen in der Ukraine irregulär beschäftigt. Land-, Forstwirtschaft und Fischerei war mit 2.881.848 Personen mit Abstand der Wirtschaftszweig mit den meisten irregulär Beschäftigten, gefolgt von Baugewerbe (1.080.437 Personen), Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kfz (986.231 Personen) und Sonstigen Dienstleistungstätigkeiten (615.809 Personen). Alle in der Umfrage genannten Wirtschaftszweige weisen gegenüber 2020 einen teils deutlichen Rückgang der irregulären Beschäftigung auf (Abbildung 8). Zeitgleich zeigt sich aber auch ein deutlicher Anstieg von Beschäftigung in bestimmten Berufsgruppen, z. B. um + 40,6 % bei Frauen in der ISCO-8 Berufsgruppe Fachkräfte in der Landwirtschaft und Fischerei zwischen 2011 und 2021 (Abbildung "Beschäftigte in der Ukraine im arbeitsfähigen Alter nach ISCO-08 Berufsgruppen und Geschlecht 2021").


10 Erwerbspersonen und Nichterwerbspersonen nach Gebiet (Oblast) und Ausbildungsniveau in der Ukraine 2020

Die Anteile der Beschäftigten, Arbeitslosen und Nicht-Erwerbstätigen waren 2020 in allen Regionen (Obslast) der Ukraine relativ gleich verteilt; bei einer Ausdifferenzierung nach Ausbildungsniveau treten jedoch teils gravierende Unterschiede auf. Der Blick auf die regionale Herkunft könnte also Tendenzen über das zu erwartende Ausbildungsniveau bzw. den Erwerbsstatus der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland aufzeigen.

Bei Personen ohne Ausbildung, mit einer Grundschulbildung oder einfacher Sekundarausbildung verzeichneten die Regionen Dnipropetrovsk, Vinnytsya, Odesa und Chernivtsi die meisten und die Hauptstadt Kyiv, Cherkasy, Chernihiv und Luhansk die wenigsten Beschäftigten. Gemessen an der Gesamtbevölkerung im Alter zwischen 15 und 70 Jahren, wiesen die Regionen Chernivtsi, Vinnytsya und Zakarpattya die höchsten und die Hauptstadt Kyiv sowie die Regionen Lviv und Khmelnytskiy die niedrigsten Anteile an dieser Gruppe auf.

Bei Personen mit abgeschlossenen Sekundarschulbildung wiesen die Regionen Zakarpattya, Odesa, Kharkiv und Dnipropetrovsk die meisten und die Regionen Luhansk, Ternopyl, Kirovohrad und Poltava die wenigsten Beschäftigten auf. Gemessen an der Gesamtbevölkerung im Alter zwischen 15 und 70 Jahren, verzeichneten die Regionen Kherson, Chernivtsi, Rivne und Zakarpattya die höchsten und die Regionen Donetsk und Lviv sowie die Hauptstadt Kyiv die niedrigsten Anteile an dieser Gruppe auf.

Bei Personen mit Berufsschulbildung wiesen die Regionen Lviv, Dnipropetrovsk, Kharkiv und Odesa die meisten und die Regionen Zakarpattya, Chernivtsi, Kirovohrad und Volyn die wenigsten Beschäftigten auf. Gemessen an der Gesamtbevölkerung im Alter zwischen 15 und 70 Jahren, verzeichneten die Regionen Zakarpattya und Chernivtsi jedoch die höchsten Anteile der Beschäftigten mit Berufsschulbildung. Die niedrigsten Anteile wiesen die Regionen Donetsk und Ternopyl auf.

Bei Personen mit nicht-abgeschlossenen, allgemeinen und abgeschlossenen Hochschulbildung verzeichneten die Hauptstadt Kyiv und die Regionen Dnipropetrovsk, Kharkiv und Lviv die meisten und die Regionen Chernivtsi, Luhansk, Zakarpattya und Volyn die wenigsten Beschäftigten. Gemessen an der Gesamtbevölkerung im Alter zwischen 15 und 70 Jahren, wiesen die Hauptstadt Kyiv, die Regionen Zakarpattya, Kharkiv und Lviv höchsten und die Regionen Donetsk und Volyn die niedrigsten Anteile an dieser Gruppe auf.


Fazit und Ausblick

Generell gilt: Die Aufnahme von Geflüchteten ist in erster Linie eine Frage der Schutzgewährung und somit ein humanitärer Akt. Die humanitäre Versorgung der geflohenen Menschen aus der Ukraine hat aktuell oberste Priorität. Vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Fachkräfteengpässe in Deutschland und des Renteneintritts der geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegszeit, bieten ukrainische Geflüchtete aber zugleich Potenziale für den deutschen Arbeitsmarkt. Denen, die in Deutschland eine längere Perspektive suchen, sollte die Möglichkeit einer fairen und nachhaltigen Integration in Arbeit und Gesellschaft geboten werden.

Es ist davon auszugehen, dass viele der Geflüchteten aus der Ukraine überdurchschnittlich hohe Bildungsabschlüsse sowie Arbeitserfahrung mitbringen, die aber in vielen Fällen in den sog. reglementierten Berufen verortet sind. Die Anerkennung dieser Abschlüsse wird somit einer der Schlüsselpunkte für eine schnelle und gute Arbeitsmarktintegration sein. Der bereits zitierte Teil 1 der Analyse Geflüchtet um zu bleiben? hat gezeigt, dass die (vor dem Krieg) aus der Ukraine mitgebrachten Abschlüsse und Qualifikationen bisher nicht optimal auf dem deutschen Arbeitsmarkt genutzt werden konnten: Viele der in Deutschland erwerbstätigen Ukrainer*innen sind im Niedriglohnsektor beschäftigt und/oder verdienen trotz ihrer Abschlüsse auf dem deutschen Arbeitsmarkt im Vergleich mit anderen Gruppen von Erwerbstätigen wesentlich schlechter.

Die zentrale Frage wird daher u.a. sein: Wie kann die Arbeitsmarktintegration von Menschen aus der Ukraine besser gestaltet und unterstützt werden? Um diesen Arbeitsmarkteintritt von Beginn an möglichst fair und ausbildungsadäquat zu gestalten, sollten Instrumente und Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden, um unterqualifizierte Beschäftigung mit deutlich schlechterer Entlohnung zu vermeiden und dem entgegenzusteuern. Es gilt, Prekarisierungs- und Ausbeutungsrisiken bei schneller Arbeitsaufnahme entgegenzuwirken. Die Erfahrungen aus den Integrationsprozessen im Zuge der Fluchtdynamik 2015/2016 liegen vor, die Strukturen, Maßnahmen und Instrumente wurden bereits auf- und ausgebaut und können genutzt werden.

Neben einem zügigen Zugang zum Spracherwerb müssen auch das Anerkennungsverfahren für mitgebrachte Qualifikationen und Abschlüsse weiter beschleunigt sowie Möglichkeiten zur beruflichen Aus-/Fort-/Weiterbildung, u. a. durch Unterstützung der Betriebe, bereitgestellt werden. Aber auch die Regelstrukturen wie die Jobcenter und Arbeitsagenturen sollten bzgl. der Vermittlung in gute, qualifikationsentsprechende und den beruflichen Zielen der Geflüchteten entsprechenden Tätigkeiten sensibilisiert werden.

Eine gute Arbeitsmarktintegration wird für die „neue“ Gruppe der Ukrainer*innen auch von einer guten Kinderbetreuung abhängen, da viele der Geflüchteten Frauen sind, die mit ihren Kindern den Weg nach Deutschland gefunden haben. Der Ausbau der Kinderbetreuung kommt aber auch der Gesellschaft und dem Arbeitsmarkt in Deutschland insgesamt zugute, da die höhere Betreuungsdichte dazu führt, dass die Arbeitsmarktbeteiligung steigen und die Anzahl der Nichterwerbspersonen weiter sinken wird. Da viele der Geflüchteten mit ihren Kindern oder älteren und/oder pflegebedürftigen Familienangehörigen in Deutschland angekommen sind, werden Teilzeitmodelle der Beschäftigung bei dieser Gruppe wohl insgesamt häufiger im Vordergrund stehen.

Schließlich bedarf auch die Frage der Familienzusammenführung und somit dauerhafter Bleibe- und Integrationsperspektive für ukrainische Familien in Deutschland einer schnellen und klaren Entscheidung. Die frühzeitige Integration in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt ist für die langfristigen Integrationsergebnisse von zentraler Bedeutung.


Literatur

Becker, P. und Komitowski, D., 2022: Geflüchtet, um zu bleiben? Ein Plädoyer für qualifikationsadäquate Beschäftigung und Vermeidung von Prekarisierung für ukrainische Geflüchtete - Teil 1. https://www.netzwerk-iq.de/foerderprogramm-iq/fachstellen/fachstelle-einwanderung/publikationen/plaedoyer-ukrainische-gefluechtete-1 (21.06.2022).

[BA] Bundesagentur für Arbeit, 2022: International Standard Classification of Occupations (ISCO). https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/Grundlagen/Klassifikationen/Klassifikation-der-Berufe/ISCO/ISCO-Nav.html (21.06.2022).

[BMAS] Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 13.05.2022: Unser Sozialstaat wird das wuppen. Interview von Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, mit der Rheinischen Post. https://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Interviews/2022/2022-05-13-rheinische-post.html (21.06.2022).

[BMI] Bundesministerium des Innern, 2022: Befragung ukrainischer Kriegsflüchtlinge. Jung, berufstätig und überwiegend weiblich. Eine Befragung ukrainischer Kriegsflüchtlinge liefert erste Erkenntnisse über wichtige Bedarfe und Motivation bei der Wahl des Fluchtziels. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2022/04/umfrage-ukraine.html;jsessionid=FCBCAB7A6ED1EC854F58F2F7BB5A39DE.1_cid364 (21.06.2022).

[Destatis] Statistisches Bundesamt, 2022: Arbeitsmarkt. Erwerbspersonen. https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Glossar/erwerbspersonen.html (21.06.2022).

[OECD] Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, 2022: Präsentation vom 09.05.2022. Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen aus der Ukraine: Herausforderungen und Chancen. https://blog.oecd-berlin.de/ankommen-im-arbeitsmarkt-was-lehrt-uns-die-erfahrung-fuer-die-flucht-aus-der-ukraine (21.06.2022).

[ILO] International Labour Organization, 2022: ILO SURVEY CATALOGUE. Labour force survey. https://www.ilo.org/surveyLib/index.php/collections/LFS (21.06.2022).

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[UKRSTAT] State Statistics Service of Ukraine, 2020: Labour Force of Ukraine 2019. S. 74-75. http://www.ukrstat.gov.ua/druk/publicat/kat_e/2020/08/Zb_rs_e_2019.pdf (21.06.2022).

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