Migration verstehen

Ziel von Metropolis International ist es, durch empirische ­
Forschung die Politik voranzubringen und Gesellschaften
und Organisationen zu unterstützen, die sich mit den
Auswirkungen von Migration und Vielfalt auseinandersetzen.

Jan Rath, Paul Spoonley und Mihaela Vieru

Metropolis International ist das weltweit größte Netzwerk von Forscher*innen, Regierungs­vertreter*innen, internationalen und zivilgesellschaftlichen Organisationen im Bereich der Migration, Bevölkerungsdiversität und Inklusion/Integration. Die private Wirtschaft spielt eine immer größere Rolle in der Migrationspolitik, insbesondere in Bezug auf den Fachkräftemangel im „globalen Norden“. Vor diesem Hintergrund möchten wir diesen so wichtigen Akteur an unserer Arbeit teilhaben lassen und ihn in einen  umfassenden sektorübergreifenden Dialog einschließen, von dem alle Beteiligten profitieren: Entsende-, Aufnahme- und Transitgesellschaften sowie die Migranten selbst.

Unser Ziel ist es, durch empirische Forschung die Politik voranzubringen und Gesellschaften und Organisationen zu unterstützen, die sich mit den vielfältigen Auswirkungen von Migration und Vielfalt auseinandersetzen. Metropolis International ist eine unpolitische Organisation, die sich für das Verständnis und die Beeinflussung der politischen Prozesse im Zusammenhang mit Migration und Vielfalt einsetzt, indem sie eine Plattform für die Zusammenarbeit zwischen Forschung, Politik, Zivilgesellschaft, der Geschäftswelt und Organisationen bietet. Obwohl wir keine spezifischen Ansichten dahingehend vertreten, wie eine bestimmte Gesellschaft mit Migration und Diversität umgehen sollte, können wir anhand von bisheriger Evidenz sagen, dass wohl keine Gesellschaft ihr volles Potenzial ausschöpfen können wird, wenn sie versucht, Migration und die Diversität ihrer Bevölkerung zu unterdrücken oder zu ignorieren. Wir vertreten grundsätzlich die Auffassung, dass blühende und friedliche Gesellschaften in der globalen Welt diejenigen sein werden, die alle Beteiligten ausdrücklich in die Auseinandersetzung mit diesen Dimensionen zum gegenseitigen Nutzen ihrer Bürger*innen,  ihrer Migrant*innen und ihrer gesellschaftlichen Minderheiten einbeziehen.

Erste Konferenz in Mailand

Metropolis International nahm seine Tätigkeit 1996 mit der ersten jährlichen internationalen Konferenz in Mailand auf, die den sektorübergreifenden Dialog über Migration fördern sollte. Damals repräsentierten die Mitglieder weniger als zehn Länder. Seitdem haben wir unsere Aktivitäten auf Forschung und politische Arbeit ausgeweitet, unter anderem durch jährliche Konferenzen und eine Vielzahl von Seminaren und Webinaren, die sich auf diverse Themen konzentrieren, die von unseren Mitgliedern und Zielgruppen auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene ermittelt werden.

Was als ein von Nordamerika und Europa dominiertes Netzwerk begann, ist heute globaler ausgerichtet, mit einer starken Beteiligung nicht nur aus der Europäischen Union und Nordamerika, sondern auch aus dem asiatisch-pazifischen Raum, und mit den Anfängen von Netzwerken in Lateinamerika, Afrika und dem Nahen Osten. Wir leben in einer vernetzten Welt, doch wenige Aspekte sind in der heutigen Zeit so sehr globaler Natur wie Migration. Daher können wir es uns nicht leisten, bei dahingehenden Entscheidungen die Stimmen mancher außen vor zu lassen. Ob sie nun verschiedene Sektoren und verschiedene Regionen der Welt vertreten, diese Stimmen sind unerlässlich für eine informierte und nachhaltige Entscheidungsfindung in Bezug auf Migration und Diversität, sowohl direkt als auch indirekt, auf nationaler, regionaler oder internationaler Ebene.

Unser Vorzeigeevent ist die International Metropolis Conference, die seit 1996 jedes Jahr in verschiedenen Städten dieser Welt stattfindet. Bis jetzt haben wir Konferenzen in Kanada, den USA, Mexiko, Japan, Australien, Israel, Dänemark, Italien, Österreich, der Schweiz, den Niederlanden, Portugal (einschließlich den Azoren), Norwegen,  Finnland und Deutschland abgehalten. 

Internationale Zusammenarbeit

Nach der pandemiebedingten Pause freuen wir uns auf die Rückkehr zum Präsenzdialog und werden, mit der Unterstützung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, vom 4.-9. September 2022 in Berlin unsere 25. Konferenz veranstalten. Die Bestimmung des Gastgebers der jährlichen Konferenz erfolgt durch ein Bieterverfahren mit verschiedenen Akteuren aus aller Welt (z. B. nationale und lokale Regierungen, Forschungs- oder Bildungsinstitutionen, zivilgesellschaftliche Organisationen), die den Wert und das einmalige Potenzial der durch die International Metropolis Conferences und das dazugehörige Netzwerk entstehenden sektorübergreifenden und internationalen
Zusammenarbeit erkennen.

Metropolis International versucht, die wichtigsten Trends, gesellschaftlichen Herausforderungen und gemeinsamen Erfahrungen in der Welt zu identifizieren und zu diskutieren, die auf unterschiedliche Weise Migration und Vielfalt betreffen (z. B. Klimawandel, Bevölkerungs- und Wirtschaftswandel, technologische Entwicklungen, Konflikte usw.), und untersucht die Auswirkungen auf Politik und Praxis, indem es sich auf die beste verfügbare inter- und multidisziplinäre Forschung stützt.

Dies erreichen wir, indem wir erfahrene Forscher*innen und Nachwuchswissenschaftler*innen, politische Entscheidungsträger* innen, Fachleute und Menschen aus Wirtschaft und migrantischen Communities zusammenbringen. Minister*innen, Staatsoberhäupter, Bürgermeister*innen, hochrangige Mitglieder der UN, Botschafter*innen, Führungskräfte der Zivilgesellschaft, Journalist*innen sowie zahlreiche Fachleute aus der Politik, Forscher*innen und Studierende wurden an den Tisch von Metropolis International eingeladen, um ihre Perspektiven zu diskutieren, zu problematisieren und mit dem Publikum zu teilen. Die 800 bis 1300 Teilnehmer*innen der jährlichen Konferenzen tragen zur Gestaltung des Workshop-Programms bei, das in der Regel etwa 70 bis 80 Workshops zu einer Fülle von Themen im Zusammenhang mit Migration, Mobilität und deren Steuerung, Integration, Inklusion und Vielfalt umfasst. Solche Workshops müssen sektorübergreifend und international sein, d.h. sie müssen  Referent*innen aus den Bereichen Politik, Forschung, Zivilgesellschaft und Geschäftswelt und aus mehr als einem Land einschließen.

Globale Reichweite garantieren

Seit 1996 hat sich vieles verändert. Dies liegt zum Teil daran, dass unsere Organisation ihre Aktivitäten und Mitgliederzahl weiter ausgebaut hat, um eine globale Reichweite  zu garantieren, anstatt sich in erster Linie auf Nordamerika und Europa zu konzentrieren. Wir sind uns der unterschiedlichen Interessen der Beteiligten, aber auch der Verflechtung der Themen und der Auswirkungen politischer Entscheidungen über Länder und Regionen hinweg bewusst und wollen diese auf sachkundige, nachhaltige und kooperative Weise angehen. Wir fördern auch innovative Themen und Ansätze, eine Reihe von Formaten für den Austausch von Informationen und Erkenntnissen, attraktive
Konferenz- und Seminarprogramme und suchen ständig nach neuen Stimmen, die eine große Bandbreite an Erfahrungen und Sichtweisen mitbringen.

So ist es beispielsweise einer der Vorzüge unserer Konferenzen, dass der Gastgeber ein aktiver Mitorganisator ist, der gemeinsam mit Metropolis International das Event plant. Der Gastgeber hat die Möglichkeit, bei der Auswahl der Konferenzthemen eine führende Rolle zu spielen, seine Stärken zu präsentieren und mit den Teilnehmer*innen Herausforderungen zu erörtern sowie generell die Metropolis International-Plattform für die Zusammenarbeit bei Themen von Interesse zu nutzen. Diese lokalen Prioritäten und Abwägungen spiegeln sich in der Regel auch in dem Plenar- und Keynote-Programm. Als die Konferenz in Den Haag stattfand, der Stadt des Friedens und der  Gerechtigkeit, enthielt die Agenda Themen wie die Durchsetzung von Menschenrechten, die Rolle der Streitkräfte und Themen der Gerechtigkeit.

Die Azoren dagegen sind eine Inselgruppe im Atlantik, die eine erhebliche Auswanderung der Bevölkerung erlebt haben. Die dortige Konferenz bezog sich vor allem auf transnationale Beziehungen, Arbeitskosten und Rückkehrmigration. In Mexiko-Stadt, einem Ort multidirektionaler Migration, spielten die Handlungsfähigkeiten der Migrant*innen eine Schlüsselrolle, was sich auch in der dortigen Konferenz widerspiegelte.

Migration und Arbeitsmarkt

2018 fand die Konferenz in Australien statt. Dort fokussierte sich die Konferenz auf die Beziehungen zwischen Migrant*innen und indigenen Völkern, da dies dort ein zentrales zivilgesellschaftliches Themenfeld ist. In Deutschland steht neben internationaler Kooperation für faire Migration auch die Verbindung zwischen Migration und dem Arbeitsmarkt ganz oben auf der Tagesordnung. Dementsprechend sind in diesem Jahr diese Themen Schwergewichte der Konferenz. Der Kontext und die Art von Mobilität und Migration verändern sich, und damit auch die Themen. Metropolis International möchte an der vordersten Front dieser Entwicklungen stehen und strebt danach, genau diese Entwicklungen im Hinblick auf die kurz-, mittel- und langfristigen politischen Folgen zu betrachten. Die Unterzeichnung des Globalen Pakts für sichere, geordnete und reguläre Migration durch die UN-Mitgliedsstaaten im Jahr 2018 hat sich beispielsweise schnell im Programm unserer Konferenz in Ottawa im darauffolgenden Jahr und in
anderen politischen Diskussionen niedergeschlagen.

Der Krieg in Syrien und der Strom von Geflüchteten in umliegende Länder wie Libanon, die Türkei und den Irak sowie nach Europa hat in den Konferenzen dieses  Zeitraumes die zentrale Rolle gespielt. Selbstverständlich wird auf der diesjährigen Konferenz in Berlin die russische Invasion in die Ukraine sowie die daraus resultierende Flucht- und Vertriebenenkrise großer Bevölkerungsgruppen diskutiert werden. Die Mitglieder und Teilnehmenden von Metropolis International wollen nicht nur die Ursachen und Folgen solcher Bevölkerungsbewegungen verstehen, sie wollen auch begreifen, wie Aufnahmeländer und Staaten, die unter anderem von erzwungener Migration betroffen sind, auf solche Menschenströme und Ereignisse reagieren.

Dämonisierung von Migration

Der Aufstieg populistischer und nationalistischer Bewegungen der vergangenen Jahrzehnte hat zur Dämonisierung von Migration und Migrant*innen geführt und bewirkt, dass Gesellschaften als der Diversität abgeneigt erscheinen. Unabhängig davon, welchen Situationen Gesellschaften ausgesetzt sind, gibt es einige Erfahrungen und bleibende Herausforderungen, die sich sowohl auf Migration als auch auf aktuelle und zukünftige gesellschaftliche Veränderungen beziehen, die stets gleichbleiben. Dazu gehören die Bereitstellung von Unterkünften, Bildung, Arbeitsplätzen, Gesundheitsversorgung und anderen relevanten Leistungen für verschiedene Bevölkerungsgruppen, darunter auch Neuankömmlinge. Regierungen, zivilgesellschaftliche Institutionen und Organisationen, Universitäten und Unternehmen spielen eine Schlüsselrolle bei Prozessen und Folgen der Ankunft und der Niederlassung.

Seit nun mehr als zwei Jahrzehnten ist Metropolis International dank Akteuren verschiedener Sektoren und Teile der Welt eine kritische Plattform für Diskussionen über Migration und Diversität. Durch dieses wachsende Netzwerk von Fachleuten in diesem Bereich, die sich zum Austausch von Fachwissen zusammenfinden, werden politische Innovationen, Forschungskooperationen und evidenzbasierte Praktiken in einer Weise gefördert, die für alle Beteiligten von Nutzen ist. Wir setzen diese Arbeit fort, indem wir unsere Sektionen in Nordamerika, Europa und Asien-Pazifik stärken und indem wir uns weiterhin für die Entwicklung unserer Sektionen in anderen Teilen der Welt wie Lateinamerika, Afrika und dem Nahen Osten einsetzen.


https://metropolis-international.org/

 

Prof. Dr. Jan Rath
ist Co-Vorsitzender von Metropolis International, Lehrstuhlinhaber der Soziologie an der Universität Amsterdam und auch Prof. J.A.A. van Doorn Chair an der Erasmus-Universität Rotterdam (EUR). Er ist auch Van Doorn Fellow am Netherlands Institute for Advanced Study in the Humanities and Social Sciences (NIAS), einem der Institute der Royal Netherlands Academy of Arts and Sciences (KNAW).
www.janrath.com

Distinguished Prof. E. Paul Spoonley
ist Co-Vorsitzender von Metropolis International und Distinguished Professor Emeritus sowie Honorary Research Associate am College of Humanities and Social Sciences an der Massey University in Neuseeland. Er ist auch ein Fellow der Royal Society of New Zealand und war Fulbright Senior Scholar an der University of California Berkeley. Seit Juni 2022 ist er Co-Direktor des He Whenua Taurikura National Centre of Research Excellence for Preventing and Countering Violent Extremism. https://en.wikipedia.org/wiki/Paul_Spoonley

Mihaela Vieru
lehrt im Fachbereich Geografie und Umweltforschung an der Carleton University in Ottawa, Kanada und leitet das Sekretariat von Metropolis International.

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