Wie man einem Land ein Image gibt

"Make it in Germany" betreibt Standortmarketing und ist seit 2018 das offizielle Portal der Bundesregierung für Fachkräfte aus dem Ausland. Es positioniert die Bundesrepublik im internationalen Wettbewerb um Talente.

Als deutsche Unternehmen vor zehn Jahren unter Fachkräfteengpässen vor allem in den MINT-Berufen litten, hatte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) eine Idee: Ein Informationsportal könnte über Zuwanderungsmöglichkeiten informieren und so helfen, den Mangel an Fachkräften beim Exportweltmeister abzumildern. Das Bundeswirtschaftsministerium fand diese Idee des Instituts offenbar so gut, dass es eine Förderung zusagte. Das war der Startschuss für das Portal www.make-itin-germany.de. Anfang 2012 stellte das IW ein Team zusammen, zu dem auch Jeannette Michaelle Nintcheu gehörte. "Wir haben ein paar Texte geschrieben zum Thema Arbeiten und Leben in Deutschland, zur Einwanderung aus Drittstaaten und der EU. Und wir haben auf Engpässe bei MINT-Fachkräften hingewiesen, mit der Botschaft, dass Zuwanderung eine Lösung sein kann, um Personalmängeln entgegenzuwirken", erinnert sich Nintcheu, die beim IW als Researcherin für Zuwanderung arbeitet und das Projekt „Make it in Germany“ von Beginn an mitbetreut.

Anfang Juni 2012 ging die Seite online, zunächst nur auf Deutsch und Englisch. Staaten wie die USA und Kanada werben traditionell aktiv Arbeitskräfte aus dem Ausland an. "Deutschland war eher zurückhaltend", sagt Nintcheu, "'Make it in Germany' war der Startpunkt, Menschen im Ausland offensiver zu sagen: Deutschland ist ein weltoffenes Land und hier könnt ihr als Fachkräfte arbeiten. Zuwanderungsinteressierten Menschen im Ausland möchten wir vermitteln, dass sich Deutschland im internationalen Wettbewerb um Talente positioniert."

Puzzlestück in der Außendarstellung der Bundesrepublik

Mit seinem Fokus auf Erwerbsmigration ist "Make it in Germany" ein Puzzlestück in der Außendarstellung der Bundesrepublik. "Germany – Land of Ideas", die gemeinsame Initiative der Bundesregierung und der deutschen Industrie, will "ein zukunftsfähiges und weltoffenes Deutschland" darstellen. Ziel des mehrsprachigen Portals "deutschland.de" ist, "in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt, auf moderne und verständliche Weise ein zeitgemäßes Bild von Deutschland" zu vermitteln. Mit der Informationsplattform "Research in Germany – Land of Ideas" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wird der Forschungsstandort Deutschland international präsentiert.

So unterschiedlich die thematischen Schwerpunkte dieser Initiativen und Portale sein mögen, sie haben dennoch eines gemeinsam: Sie betreiben Standortmarketing bzw. Nation Branding, wie das Konzept insbesondere im englischsprachigen Raum genannt wird. "Nation Branding ist ein Ansatz, mit den Mitteln des Marketings und speziell der Markenbildung und Markenführung ein Land möglichst unverwechselbar und einzigartig identifizierbar zu machen", erläutert Oliver Zöllner, Professor für Medienforschung, internationale Kommunikation und Digitale Ethik an der Hochschule der Medien in Stuttgart.

Das Hauptaugenmerk der Markenbildung von Staaten liege "auf der kommunikativen Vermittlung von spezifischen Charakteristika und Werthaltungen eines Staates, die im Wettbewerb mit den Markenkernen anderer Länder liegen". Deutschland vermarktet sich als "Land der Ideen". Estland wirbt mit der Erkennungsmarke "e-Estonia" für die fortgeschrittene Vernetzung und Digitalisierung in dem baltischen Staat. Großbritannien nennt seine Standortkampagne ebenso schlicht wie selbstbewusst: "GREAT". "Mit der zunehmenden Etablierung des wirtschaftswissenschaftlichen Marketing-Konzepts finden sich systematische Überlegungen zum Nation Branding etwa ab den 1980er Jahren und haben in Kampagnenform insbesondere seit den 2000er Jahren großen Aufschwung genommen - nicht zuletzt dank einiger rühriger Berater und ihrer Lehrbücher", sagt Zöllner.

Virtuelle Weltausstellungen

Erste Ansätze, Nation Branding zu betreiben, reichen aber zurück bis in die Zeit der industriellen Revolution. "Ein frühes Beispiel des Nation Branding in der Moderne sind etwa die Weltausstellungen, auf denen sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und bis in die Gegenwart die teilnehmenden Staaten regelmäßig in Form von selbstgestalteten Länderpavillons präsentieren", erklärt Zöllner. Im 21. Jahrhundert stehen die Länderpavillons in der virtuellen Welt. Besucher*innen flanieren per Mausklick durch die Ausstellung. Bei der Internetseite von "Make it in Germany" sind es ungefähr 450.000 Besucher*innen pro Monat. "Insgesamt haben wir seit 2012 schon über 27 Millionen Besucher*innen erreicht und sie kommen aus aller Welt. Wir haben vier Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch. Damit decken wir fast die halbe Welt ab", bilanziert Nintcheu.

Landingpages mit Kurzinformationen gibt es auch in 12 weiteren Sprachen, unter anderem auf Türkisch, Polnisch, Portugiesisch und Koreanisch. "Make it in Germany" ist auf Twitter und Youtube aktiv, in der nächsten Förderphase soll Instagram hinzukommen. Über die Jahre ist "Make it in Germany" stetig gewachsen. "Wir haben angefangen als Kampagne. Das sind wir jetzt nicht mehr", sagt Nintcheu. "Seit 2018 sind wir das offizielle Portal der Bundesregierung für Fachkräfte aus dem Ausland, mit einem Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums."

Komplexes verständlich vermitteln

Zum offiziellen Auftrag des Portals gehört es auch, über das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) zu informieren. Nintcheu hat die Informationskampagne zum FEG mitkonzipiert und erinnert sich an eine sehr arbeitsintensive Zeit. "Wir haben schon im Mai 2019 angefangen, auf 'Make it in Germany' über das Gesetz zu informieren." Zu diesem Zeitpunkt war das FEG noch nicht verkündet, aber es kursierten Presseberichte über die geplanten Änderungen – und Gerüchte. "Es gab offenbar bei Menschen im Ausland sehr viele Missverständnisse: Viele hatten das Gefühl, dass Deutschland ab 1. März 2020 die Tore für alle öffnet. Daraufhin haben wir uns entschieden, über die Schritte bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zu informieren."

Parallel mussten mit Blick auf die Gesetzesverkündung im September 2019 Informationsmaterialien vorbereitet werden sowie Grafiken zu den Visaverfahren und Videoclips für die sozialen Medien – all dies in enger Abstimmung mit den beteiligten Ministerien. Pünktlich zum Inkrafttreten des FEG am ersten März 2020 gingen die Informationen zu den neuen Regelungen online.

Eine Herausforderung war die Komplexität des Gesetzes. "Wir schreiben für unsere Zielgruppe im Ausland und müssen komplizierte Zusammenhänge so einfach und verständlich wie möglich vermitteln. Behördendeutsch ist dazu nicht geeignet", sagt Nintcheu. "Wenn aus unserer Sicht zu Artikeln sehr niedrigschwellige Fragen von User*innen kommen, sagen wir uns: OK, da müssen wir noch mal ran und den Text noch einfacher machen."

Ebenso zentral wie die Verständlichkeit der Beiträge war es für das Portal, keine falschen Erwartungen zu wecken. "Für uns war wichtig, die Botschaft zu vermitteln, dass man für die Fachkräfteeinwanderung immer eine Qualifikation benötigt. Ohne diese wird es fast unmöglich sein, nach Deutschland einzureisen", sagt Nintcheu.

Schein und Sein müssen übereinstimmen

Schein und Sein müssen beim Standortmarketing übereinstimmen. Authentizität und Glaubwürdigkeit sind nicht zu unterschätzende Erfolgsfaktoren, das betont auch Medienforscher Zöllner: "Ein Land sollte sich in seinem Branding nicht anders darstellen, als es ist – wahrgenommene Authentizität ist sicher das A und O des erfolgreichen Nation Branding." Zöllner sieht beim Branding-Ansatz ganz prinzipiell Grenzen, "denn ein Land ist kein Konsumprodukt wie etwa ein Schokoriegel oder ein Dienstleistungsunternehmen, sondern quasi ein lebendiger, höchst vielfältiger 'Organismus', der von Menschen gebildet wird, die wiederum ihre ganz eigenen Bedürfnisse, Nöte, Stärken usw. haben, die als solche aber nicht kommerzialisierbar sind".

Den Erfolg und die Wirkung von Nation-Branding-Kampagnen können Marketing-Strategen in gewissem Umfang überprüfen. Zöllner verweist auf Umfragen zu geänderten Einstellungen gegenüber einem Staat bei einer ausländischen Zielgruppe oder Medienresonanzanalysen nach einer Branding-Kampagne. "Aber Einstellungsänderungen sind eher eine langfristige Angelegenheit – niemand sollte sich von Nation-Branding-Maßnahmen sofortige Image-Veränderungen versprechen und schon lange keine nachhaltigen."

Erfolgreiches Neuseeland: Nation-Branding mit dem Herrn der Ringe

Dennoch gibt es Erfolgsbeispiele. Eines, das Zöllner nennt, ist Neuseeland. Das Land habe sich binnen weniger Jahre vom meist übersehenen "Ende der Welt", in der – so das Klischee – "mehr Schafe als Menschen leben", entwickelt zu einem der allerbeliebtesten Länder. Zöllner betont, dass dieser Imagewandel auch daran liegt, dass sich Neuseeland weiterentwickelt hat und "heute ein modernes, multiethnisches Einwanderungsland mit vielen progressiven Ideen" ist.

Er verweist aber eben auch auf "diverse pfiffige Branding-Kampagnen", die zu diesem positiven Bild des Staates beigetragen hätten – und die Filmtrilogie "Der Herr der Ringe", die in Neuseeland gedreht worden ist. "Mit großzügiger und strategischer staatlicher Unterstützung. Diese Filme haben im wahrsten Sinne des Wortes machtvolle Bilder von Neuseeland produziert und es auf die Weltkarte gesetzt."

Deutschland steht auf Branding-Indizes vorn

Und wo steht Deutschland auf der mentalen Landkarte, die Menschen weltweit im Sinn haben, wenn sie an das Land denken? "Deutschland steht seit Jahren bei vielen Umfragen bzw. auf Branding-Indizes auf vorderen Plätzen", erläutert Zöllner. Er macht keinen Hehl daraus, dass er die Methodik solcher Erhebungen und Indizes teils kritisch sieht, wertet sie aber dennoch als "Hinweis auf das alles in allem sehr positive Image, das Deutschland sich in den letzten Jahrzehnten erarbeitet hat".

Der Weg dahin war lang. Die Bundesrepublik musste sich ein positives Image nach zwei Weltkriegen erst verdienen. "Wichtig ist zu betonen, dass sich Deutschland seit 1945 aber auch wirklich enorm positiv verändert hat – auch wenn manche Zerrbilder von Deutschland oder den Deutschen sich natürlich bis heute hartnäckig halten", erklärt Zöllner.

Einer der größten Erfolge für das deutsche Standortmarketing in der jüngeren Vergangenheit hat nach Meinung Zöllners aber mit dem runden Leder zu tun – und mit Sonnenschein: "Die Fußball-WM 2006 war in diesem Zusammenhang sicher ein großes Glück: Das Land und seine Bevölkerung konnten sich als gastfreundlich, weltoffen und locker präsentieren, die Stimmung war super – und glücklicherweise hat auch noch das Wetter mitgespielt." (fe)

 

X