Hürden abbauen, Chancen eröffnen

Der neue Paragraph 16d des Aufenthaltsgesetzes ermöglicht Fachkräften die Einreise, um an Maßnahmen zur Anerkennung ihrer ausländischen Qualifikationen teilzunehmen. Das Verfahren geht mit langer Planung und Vorbereitung einher. Ein Blick in die Praxis.

"§ 16d - Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen" – der Passus mag sperrig klingen, dahinter verbirgt sich jedoch eine entscheidende Tür der Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland, die Chancen für Unternehmen und ausländische Fachkräfte eröffnet. Denn laut Fachkräfteeinwanderungsgesetz darf zur Ausübung einer Beschäftigung einwandern, wer ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorlegen kann - unter der Bedingung, dass eine anerkannte Berufsqualifikation und eine gegebenenfalls erforderliche Berufsausübungserlaubnis vorliegen.

Das Anerkennungsverfahren wird dabei in der Regel aus dem Ausland beantragt. Häufig wird jedoch nicht sofort eine volle Gleichwertigkeit beschieden: Im Jahr 2019 wurde in 47,1% aller Anerkennungsverfahren in Deutschland ein Bescheid über teilweise Gleichwertigkeit oder ein Bescheid mit Auflagen erteilt. In diesen Fällen müssen für eine volle Anerkennung erst noch Unterschiede zum deutschen Referenzberuf durch den Besuch von Qualifizierungsmaßnahmen oder durch praktische Erfahrung in Betrieben ausgeglichen, Sprachkenntnisse erworben oder bestimmte Kompetenzen in Prüfungen nachgewiesen werden.

Hürden abbauen und Prozesse unterstützen

Der § 16d AufenthG macht diesen Weg möglich. Doch für einreisewillige Fachkräfte und deren potenzielle Arbeitgeber geht das Verfahren mit monatelanger Vorbereitung und Planung einher. Neue gesetzliche Regelungen und Strukturen sowie zahlreiche Akteure innerhalb und außerhalb des IQ Netzwerks versuchen, Hürden abzubauen und die Prozesse zu unterstützen. Gemeinsam mit dem IQ Teilprojekt "Qualifizierungsmaßnahmen für Handwerksberufe" der Handwerkskammer Lübeck werten wir aus: Wo liegen die Knackpunkte des § 16d AufenthG in der Praxis – und welche Perspektiven bieten die neuen Rahmenbedingungen?

Bereits 2015 wurde mit dem § 17a AufenthG die Möglichkeit gesetzlich verankert, zum Ausgleich wesentlicher Unterschiede im Kontext eines Anerkennungsverfahrens einzureisen. Liegt ein Bescheid einer zuständigen Stelle vor, aus dem ein Qualifizierungsbedarf hervorgeht, und kann aufgezeigt werden, in welcher Qualifizierung dieser Ausgleich stattfinden soll, ist die Erteilung eines Visums für Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen möglich. Diese Möglichkeit wurde in den letzten Jahren vermehrt genutzt – 1.876 Personen wurde im Jahr 2019 der Aufenthaltsstatus § 17a Abs. 1 oder 5 AufenthG erteilt, was einen deutlichen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr darstellt. Dennoch sind die Zahlen überschaubar.

Aufwändiges Verfahren

Gerade für selbstinitiativ aus dem Ausland rekrutierende Betriebe und Fachkräfte, für die individuelle Qualifizierungsmaßnahmen gefunden werden müssen, ist das Verfahren auf Grund seiner Komplexität und des hohen Aufwands noch kein Selbstläufer. Zusätzlich zur Beschaffung zahlreicher Unterlagen und dem Einreichen des Antrags bei zuständigen Stellen müssen Fachkräfte aus dem Ausland noch die Qualifizierungs- und ggf. Arbeitgebersuche ohne persönliche Kontakte vor Ort, die Visumantragsstellung, den Nachweis der Lebensunterhaltssicherung in Deutschland und der erforderlichen Sprachkenntnisse bewerkstelligen.

In der Handwerkskammer Lübeck gab es in den letzten vier Jahren nur einen Teilnehmenden, der über § 17a AufenthG seine berufliche Anerkennung in einem ausgewiesenen Mangelberuf in Deutschland tatsächlich realisierte. Das Fazit des Arbeitgebers: Er war sehr zufrieden mit seiner neuen Fachkraft, aber der Weg zur Einstellung mit allen erforderlichen Formalitäten und Rücksprachen mit Behörden lag deutlich über dem erwarteten Aufwand. Wäre dieser Umstand vorher bekannt gewesen, hätte sich der Betrieb nicht um ausländische Fachkräfte bemüht.

Fachkräfteeinwanderungsgesetz erleichtert Zugänge

Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz wurden viele Baustellen angegangen, wodurch sich im Sinne der Öffnung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes gerade auch für nicht reglementierte Berufe neue Perspektiven ergeben: Liegen die festgestellten Unterschiede überwiegend im berufspraktischen Bereich, so können Fachkräfte sofort eine Beschäftigung aufnehmen – die Qualifizierung findet in dem Fall berufsbegleitend statt, entweder im eigenen Betrieb oder in anderen Bildungseinrichtungen.

Für Fachkräfte mit reglementierten Berufen wurde der Zugang zu einer Nebenbeschäftigung während der Qualifizierung erleichtert. Auch kann der Aufenthaltstitel bei Verzögerungen in der Qualifizierung nun von ursprünglichen 18 auf bis zu 24 Monate verlängert werden. Mit der Zentralen Servicestelle Berufsanerkennung bei der ZAV und dem beschleunigten Fachkräfteverfahren mit einer erweiterten Rolle der Ausländerbehörden wurden außerdem neue Strukturen zur Begleitung von ausländischen Fachkräften und Arbeitgebern im Anerkennungs- und Einreiseprozess geschaffen.

Sprache und Finanzierung sind wesentliche Hürden

Die gesetzlichen Verbesserungen sind vielversprechend – jedoch ist die Tür dadurch noch nicht gleich zum Scheunentor geworden. Als wesentliche Hürde zeigt sich in der Praxis der Erwerb eines adäquaten Sprachniveaus. Zum einen besteht laut Aufenthaltsgesetz eine Anforderung an den Sprachstand der potentiellen Fachkräfte, und zum anderen ist auch für den Besuch von Kursen, Praxisphasen in Betrieben sowie für die Berufstätigkeit ein hohes Sprachniveau erforderlich. Jedoch sind Deutschkurse, die den fachlichen und formellen Anforderungen entsprechen, nicht überall im Ausland verfügbar.

Eine Einreise zum Spracherwerb in Deutschland ist gesetzlich möglich. Allerdings ist eine Anmeldung zu Kursen im Rahmen der Deutschsprachförderverordnung (DeuFöV) aus dem Ausland Auszubildenden vorbehalten. Auch die Sicherung des Lebensunterhalts während des Spracherwerbs und der anschließenden Qualifizierungsmaßnahmen ist für viele ausländische Fachkräfte herausfordernd.

Die Möglichkeiten der Finanzierung der verschiedenen Qualifizierungsbausteine stellt nach der Erfahrung des schleswig-holsteinischen IQ Teilprojekts "Qualifizierungsmaßnahmen für Handwerksberufe" einen wesentlichen Nachteil für Fachkräfte dar, die zum Ausgleich wesentlicher Unterschiede neu einreisen. Bei ausländischen Fachkräften ist häufig entscheidend, inwieweit eine (anteilige) Kostenübernahme durch die Fachkraft selbst, durch den Betrieb und/oder die Qualifizierungsprojekte von IQ möglich ist, da ihnen weniger Förderinstrumente zur Verfügung stehen.

Die passende Qualifizierung finden

Gerade für Fachkräfte, die noch im Ausland leben, kann die Suche nach einer passenden Qualifizierung in Deutschland schwierig sein. Die Anforderungen an solche Maßnahmen sind hoch und oftmals abstimmungsbedürftig und es ist nicht leicht, sich einen Überblick über das verfügbare Angebot zu verschaffen. Im Handwerk etwa erfolgt der Ausgleich häufig sehr praxisnah und die Maßnahmen werden individuell konzipiert. Eine intensive Begleitung beim Ausgleich wesentlicher Unterschiede ist hier, wie in der Handwerkskammer Lübeck, durch das IQ Netzwerk bereits etabliert und gewinnt für ausländische Anerkennungssuchende nochmals an Bedeutung.

Das Lübecker IQ Teilprojekt "Qualifizierungsmaßnahmen für Handwerksberufe" erstellt auf Basis der Bescheide der zuständigen Stelle und den daraus hervorgehenden fehlenden Fertigkeiten, Kenntnissen und Fähigkeiten Qualifizierungspläne und stimmt die damit einhergehenden Kurse und Lehrgänge mit Ausbilder*innen des Berufsbildes und der zuständigen Stelle ab. Ein großer Teil der Anpassungsqualifizierungen erfolgt in für das jeweilige Berufsbild ausbildungsberechtigten Betrieben.

IQ: Beratung für Betriebe

Gemeinsam mit dem Betrieb werden Inhalte und Gesamtdauer der Qualifizierungsmaßnahme nach praktischer Überprüfung konkretisiert. Betriebe müssen in diesem Prozess in die angehende Fachkraft investieren – ihre eigene Arbeitszeit für Kommunikation mit Behörden und Beratungsstellen sowie gegebenenfalls auch in Form von Arbeitsfreistellungen und Kostenübernahmen für Antragsstellungen und Maßnahmen.
Veränderung ist spürbar

Wie in Schleswig-Holstein bestehen vielerorts bereits kompetente Beratungsstrukturen, die zusammen mit den neu etablierten Strukturen einreisenden Fachkräften den Weg zum Ausgleich von wesentlichen Unterschieden ebnen. Das beschleunigte Fachkräfteverfahren und die damit einhergehende Unterstützung durch die zentral agierende Ausländerbehörde wird von der Lübecker Handwerkskammer als deutliche Verbesserung wahrgenommen, da in diesem Fall die Betriebe federführend von der "zentralen Stelle für Fachkräfteeinwanderung" durch den gesamten Prozess begleitet werden.

Trotz Pandemie wurden in der Handwerkskammer Lübeck immerhin bereits 12 Qualifizierungspläne für Personen, die über § 16d AufenthG zum Ausgleich ihrer wesentlichen Unterschiede einreisen möchten, erarbeitet. Wie viele der Anerkennungssuchenden letztlich durch diese Tür treten und in Deutschland als Fachkräfte tätig werden, wird auch daran liegen, wie unkompliziert und schnell sich der Prozess der Einreise nach dem neuen § 16d AufenthG entwickelt und wie gut alle – alten und neuen – Akteure gemeinsam Lösungen zur Überwindung der großen und kleinen Hürden in diesem Verfahren finden.

Über die Autor*innen

Katharina Bock ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der IQ Fachstelle Beratung und Qualifizierung am Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb).

Arne-Matz Ramcke ist Projektmitarbeiter im IQ Netzwerk Schleswig-Holstein im Teilprojekt "Qualifizierungsmaßnahmen für Handwerksberufe" am Fortbildungszentrum der Handwerkskammer Lübeck.

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