Syrische Geflüchtete in Migrantenorganisationen: Engagement zahlt sich aus.

Für die soziale und berufliche Integration von Zugezogenen sind Migrantenorganisationen nicht zu unterschätzende Akteure. Mit ihrem niedrigschwelligen Unterstützungsangebot vermitteln sie nicht nur Zugehörigkeitsgefühl, sondern auch Orientierung im Bürokratie- und Anerkennungsdschungel. Das kommt auch syrischen Geflüchteten zugute – die nicht nur selbst von Migrantenorganisationen profitieren, sondern diese auch aktiv mitgestalten.

Migrantenorganisationen sind Organisationen, Zusammenschlüsse oder Vereine, die mehrheitlich von Migrantinnen und Migranten gegründet und vorwiegend durch deren ehrenamtliches Engagement getragen werden. Neben der Vertretung gruppenspezifischer Interessen tragen sie u.a. dazu bei, Selbsthilfepotentiale und individuelle Ressourcen von Migrantinnen und Migranten zu mobilisieren und fungieren als Bindeglied zur Aufnahmegesellschaft. Da sie in der Regel mehrsprachig und eher informell aufgestellt sind, bieten Migrantenorganisationen eine niederschwellige Anlaufstelle für Migrantinnen und Migranten bzw. Geflüchtete. Durch diesen Zugang sind Migrantenorganisationen wichtige Kooperationspartner im Sinne einer ganzheitlichen Integrationspolitik und somit auch für Arbeitsmarktakteure relevante Ansprechpartner.[1] In ihren Zielen und Ausrichtungen sind die rund 20.000 Migrantenorganisationen in Deutschland ganz unterschiedlich aufgestellt (s. Infokästen), haben aber eines gemeinsam: Durch ihren Netzwerkcharakter vermitteln sie soziales Kapital und erleichtern damit individuelle Integrationsprozesse.[2]  

Auch syrische Geflüchtete organisieren und engagieren sich immer mehr über Migrantenorganisationen. Wie viele das bereits sind, lässt sich momentan nicht klar sagen – dazu fehle es laut Cemalettin Özer, Geschäftsführer der MOZAIK gGmbH und aktives Mitglied der IQ Fach-AG Migrantenorganisationen, an aktuellen Erhebungen. Beispiele gibt es allerdings zahlreiche, und einige davon sind sogar ausgezeichnet worden.

Soziale Netzwerke eröffnen ein besonders niedrigschwelliges und breit gefächertes Angebot: Virtuelle Kanäle auf Facebook und YouTube, über die sich syrische Geflüchtete zu kulturellen Besonderheiten und Herausforderungen des Alltags in Deutschland, aber auch ganz konkret zum Asylverfahren austauschen, erreichen schon jetzt bis zu sechsstellige Nutzerzahlen. Die beiden Syrer Allaa Faham und Abdul Abbasi sind damit besonders erfolgreich: Ihr YouTube-Kanal „German Lifestyle“ hat über 38.000 Abonnements, die Videos erreichen bis zu 300.000 Aufrufe – und im Dezember 2016 erhielten sie für ihr herausragendes Engagement um Integration die Integrationsmedaille der Bundesregierung.[3]

Wenn es über eine erste Orientierung hinaus um die individuelle berufliche Integration geht, greifen spezifischer aufgestellte Zusammenschlüsse. Hier setzt beispielsweise das IQ Netzwerk Nordrhein-Westfalen mit seinem Projekt „Niedrigschwellige Begleitung zur beruflichen Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung durch Ehrenamtliche aus Migrantencommunities in NRW“ an: Insgesamt 80 Ehrenamtliche aus Migrantenorganisationen unterstützen landesweit Ratsuchende bei Anerkennungsfragen und begleiten sie zu beruflichen Anerkennungs- und Qualifizierungsberatungsstellen. Hier engagiert sich auch der Syrer Shirawan Rammo, der Ende 2014 nach Deutschland kam und nun andere an seinem Erfahrungsschatz um die Hürden der beruflichen Integration teilhaben lässt. Seit Juni 2017 hat er über das IQ Projekt bereits 19 Menschen – mehrheitlich Landsleute – mit unterschiedlichen Qualifikationen auf dem Weg zur beruflichen Anerkennung unterstützt.[4]

Da Anerkennungsverfahren je nach Berufsfeld und Qualifikation ganz unterschiedlich ablaufen, gibt es außerdem berufsspezifisch aufgestellte Migrantenorganisationen, auch speziell für akademische Heilberufe. Für das Mentoren-Projekt „Ärzte helfen Ärzten“ wurde der von einem aus Syrien stammenden Zahnarzt geleitete Verein Alkawakibi e.V. mit dem Berliner Gesundheitspreis 2017 ausgezeichnet. Deutsche Medizinerinnen und Mediziner betreuen dort ihre geflüchteten Kolleginnen und Kollegen aus Syrien und anderen arabischen Ländern: Sie helfen ihnen, sich im deutschen Gesundheitssystem zurechtzufinden, Kommunikationssituationen im Klinikalltag einzuüben und sich auf die Fachsprachenprüfung sowie Bewerbungsgespräche vorzubereiten. Da der Weg zu Approbation, der im Schnitt zwei Jahre dauert, einiges an Durchhaltevermögen abverlangt, geht es bei der 1-zu-1-Betreuung insbesondere auch um moralische Unterstützung.[5]

Und auch der „Nachwuchspreis öffentliche Apotheke“ ging dieses Jahr an einen Syrer: Farid Dawd, der in Deutschland bereits Fuß gefasst hat, hilft mit seiner Initiative „Erfahrungsgruppe für syrische Apotheker“ anderen nach Deutschland geflohenen Pharmazeutinnen und Pharmazeuten, indem er sie beispielsweise zur Erlangung der Berufserlaubnis berät und ihnen bei der Überwindung von Sprachbarrieren zur Seite steht.[6]


Beitrag von Laura Roser für den Newsletter 4/2017 der Fachstelle „Beratung und Qualifizierung“.


[1] Vgl. Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE): Newsletter für Engagement und Partizipation in Deutschland. 3/2016.; sowie Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Nationaler Integrationsplan. Berlin 2011.

[2] Vgl. IQ Netzwerk: Migrantenorganisationen – in zehn Punkten. Hamburg 2013.

[3] Vgl. WeltN24: Die Integration von Syrern funktioniert – über Facebook. 12.10.2016. https://www.welt.de/politik/deutschland/article158704457/Die-Integration-von-Syrern-funktioniert-ueber-Facebook.html

[4] IQ Netzwerk NRW: "Niedrigschwellige Begleitung zur beruflichen Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung durch Ehrenamtliche aus Migrantencommunities in NRW". Bielefeld 2017. http://www.anerkennungsbegleitung-nrw.de/fallbeispiele

[5] Vgl. Der Tagesspiegel: Syrische Ärzte in Deutschland : Gemeinsam gegen Scheu, Scham und Stolz. 30.07.2017. http://www.tagesspiegel.de/berlin/syrische-aerzte-in-deutschland-gemeinsam-gegen-scheu-scham-und-stolz/20125276.html und Homepage des Vereins Alkawakibi e.V.: http://www.alkawakibi.org/de_DE/ (aufgerufen am: 15.12.2017)

[7] Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Migrantenorganisationen. 2016. http://www.bamf.de/DE/Willkommen/VerbaendeOrganisationen/Migrantenorganisationen/migrantenorganisationen-node.html

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