Praxiseinblick: Nähe im virtuellen Klassenzimmer

Virtuelle Zeiten verändern das Lernen sowie das Lehren und die damit einhergehenden Kommunikations- und Kollaborationsformen. Persönliche Treffen werden weniger oder finden teilweise gar nicht mehr statt. Die Beziehungsgestaltung in rein virtuellen Lernformaten stellt eine besondere Herausforderung für Dozierende dar.[1] Der Aufwand lohnt sich jedoch – für Lernende und Lehrende. Ein Praxiseinblick in den Kurs- bzw. Unterrichtsverlauf unserer virtuellen Brückenmaßnahmen für eingewanderte Akademiker*innen zeigt bewährte Beispiele aus dem virtuellen Klassenzimmer, um trotz räumlicher Distanz „Nähe“ zu den Teilnehmenden aufzubauen und so Zufriedenheit und Lernerfolg zu steigern.[2]

Kennenlernphase

Zu Beginn eines neuen Kurses planen die meisten Dozierenden Zeit und Energie für das gegenseitige Kennenlernen ein, so auch in virtuellen Maßnahmen. Die „Online-Sozialisation“ erfüllt eine wichtige Funktion für eine gute Zusammenarbeit im Kurs: die Herstellung einer Vertrauensbasis zwischen allen Beteiligten.[3] Im Gegensatz zu Präsenzveranstaltungen geschieht dies bei uns erst nach der technischen Einführung. Da aktuell keine Präsenzphase zum Kursstart möglich ist, testen die Teilnehmenden der virtuellen Brückenmaßnahmen der Fachstelle die Zeichentools im Adobe Connect-Raum, indem sie einige Kennenlernfragen beantworten. Hier bietet sich eine (Deutschland)Karte an, in die jede*r den Wohn- bzw. Arbeitsort einträgt, eine virtuelle Kennenlernrunde über die Kamera oder eine Auswahl verschieden bebilderter Freizeitaktivitäten, zu denen sich jede*r äußern kann – inkl. der Dozent*innen. Zwar muss man etwas mehr Zeit einplanen, um mögliche technische Herausforderungen mit den Teilnehmenden meistern zu können, doch der Mehraufwand lohnt sich für die virtuelle Beziehung zwischen den Teilnehmenden und den Dozierenden.

Zwei Beispiele

  1. Partnerintervi­ews können in Gruppenräumen durchgeführt werden. Hierzu befragen sich je zwei Teilnehmende in einer Arbeitsgruppe anhand eines vorbereiteten Leitfadens. Anschließend stellen sie sich wechselseitig im Plenum der Gruppe vor. Zusätzlich kann ein passendes Bild zu jeder Person auf ein Whiteboard „gezeichnet“ oder im Internet gesucht werden, um die Vorstellung optisch zu unterstützen.
     
  2. Wenn die (meisten) Teilnehmenden eine Webcam nutzen können, kann man Alle, die … - Aussagen formulieren. Hierbei verdecken zunächst alle Teilnehmenden ihre Webcam, so dass niemand zu sehen ist. Dann wird eine Aussage formuliert, z. B. „Alle, die heute schon Kaffee getrunken haben.“ Stimmt man dieser zu, nimmt man die Abdeckung von der Kamera, so dass einige Personen sichtbar werden. So werden immer wieder einige oder sogar alle Teilnehmenden sichtbar, was eine gewisse Spannung erzeugt und Spaß macht.

Unterrichtsphasen

1. Betreten des virtuellen Klassenzimmers

Beim Eintritt in einen Veranstaltungsraum „in Präsenz“ wird quasi automatisch eine Beziehung zwischen Dozent*in und Teilnehmer*in hergestellt: Blickkontakt wird aufgenommen, Mimik, Gestik sowie Körperhaltung der Anwesenden vermitteln direkt einen Eindruck darüber, wie es diesen geht und ob Gesprächsbereitschaft besteht.

Damit „eintretende“ Teilnehmende sich auch im virtuellen Meetingraum willkommen fühlen, begrüßen wir sie im Chat, aber auch durch direkte Ansprache per Mikrofon. Dabei sind die Webcams der Dozierenden aktiviert und die Teilnehmenden werden sofort persönlich empfangen. Mit ein wenig Routine können die Teilnehmenden auch schnell erkennen, ob ihr Headset/Lautsprecher funktioniert. Durch das Initiieren von Smalltalks mit den Ankommenden fällt die technische Überprüfung leichter.

Tipp zur Umsetzung

Als optische Unterstützung nutzen wir in Adobe Connect hochgeladene Bilder mit Fragen des Tages, zum Beispiel „Was kochst du gern?“ oder „Wie entspannst du dich am besten?“. So werden noch vor Beginn des Unterrichts Redeanlässe geschaffen, die der Beziehungspflege dienen und in denen man sich auf privater Ebene näher kennenlernt. Es empfiehlt sich, diese Begrüßung regelmäßig durchzuführen. 


2. Live-Unterricht

Zahlreiche Methoden aktivieren nicht nur die Teilnehmenden und bieten Lernanlässe, sondern sie haben auf der Beziehungsebene auch das Potential, für eine gute Stimmung im virtuellen Klassenzimmer zu sorgen. In Partner- oder Gruppenarbeiten kann man die Bearbeitungszeit großzügig planen, so dass sie auch eine Gelegenheit zum niederschwelligen privaten Austausch bieten. Durch die Nutzung von Webcams kann dies noch unterstützt werden. So wird beispielsweise in Adobe Connect-Gruppenräumen die Privatsphäre gewahrt, da in diesen keine Aufzeichnung vorgenommen werden kann.

Vier Ideen zur Interaktion im Live-Unterricht, um das Miteinander in der Lerngemeinschaft zu stärken:

Quizrunden

Besonders beliebt bei Lernenden wie Dozierenden sind Quizrunden – ob ausschließlich im Meetingraum oder durch das Einbinden von Online-Tools wie Kahoot! oder Quizlet. Eine in der Vorbereitung etwas aufwendigere Variante ist ein Team-Quiz mit einer animierten PowerPoint-Präsentation, die gleichzeitig zur Prüfungsvorbereitung genutzt wird. Je nach Kursgröße gibt es zwei oder mehr Gruppen, die als Team gegeneinander spielen. Als Vorbild diente uns die Fernsehshow „Jeopardy“ mit ihren verschiedenen Kategorien und Schwierigkeitsstufen, für die es unterschiedliche Punkte zu erspielen gilt. Aus der aktuell spielenden Gruppe wählt ein Mitglied eine Kategorie bestimmter Punktzahl und versucht die zugehörige Frage selbst oder alternativ gemeinsam mit den Teamkollegen zu lösen. Die so erspielten Punkte werden addiert und schließlich ein Gewinnerteam gekürt. Aus den bisherigen Erfahrungen hat sich dieses Spiel als Wiederholung und zur Stärkung des Gruppengefühls bewährt.

Abfragen des Energiepegels

Da nicht alle Teilnehmenden eine Kamera nutzen können und um Verbindungsprobleme zu reduzieren, können wir die Teilnehmenden normalerweise nicht sehen. So fällt im virtuellen Unterricht die Einschätzung schwerer, wann sie eine Pause benötigen. Neben einer zeitlichen und inhaltlichen Vorplanung durch die Dozierenden können auch die Teilnehmenden aktiv eingebunden werden, indem sie ihren Energiepegel anzeigen. Umgesetzt werden kann dies durch ein hochgeladenes Bild, das auch während des Unterrichts permanent eingeblendet wird und in das mittels Zeichentools jede*r eine Markierung setzen kann. Während des Unterrichtsverlaufs kann jede*r Teilnehmende die Markierung vom grünen in den roten Bereich verschieben, wenn eine Pause eingelegt werden sollte. Damit werden sie sozial in die Unterrichtsorganisation einbezogen.[4]

Gestaltung einer Bewegungspause

Und warum nicht auch eine gemeinsame Bewegungspause gestalten? Ein paar Minuten (zu Beginn oder Ende) der Pausenzeit können beispielsweise für zufällig zu würfelnde Lockerungsübungen verbracht werden. Vorbereitet werden muss nur die Zuordnung der Bewegungen zu den Augenzahlen. Durch eine Bildschirmfreigabe können alle den Wurf eines Online-Würfels mitverfolgen.

Regelmäßige Evaluation des Live-Unterrichts

Schließlich bieten sich zur Einbindung der Teilnehmenden in die Unterrichtsorganisation regelmäßige Evaluationen des Live-Unterrichts an. Ein Umsetzungsbeispiel aus den Brückenmaßnahmen ist die Zielscheibenabfrage, die mithilfe der Zeichentools ausgefüllt werden kann. Natürlich ist je nach Vertrauensbasis im Kurs auch eine mündliche (nicht anonyme) Variante möglich.

   

3. Kursbegleitende Ideen zur Beziehungsgestaltung

Außerhalb des Live-Unterrichts gibt es zahlreiche Ansätze, die Beziehung zu den Teilnehmenden aktiv zu verbessern. Vom Austauschforum im Lernmanagementsystem über individuelle Sprechstunden bis hin zum virtuellen Weihnachtstreffen in einem Adobe Connect-Café. Die wichtigsten Komponenten zum Gelingen dieser Ansätze sind Zeit und Engagement der Dozierenden. Je nach Gruppe bzw. Kurs können die Angebote sehr unterschiedlich wahrgenommen werden, so dass jeweils geprüft werden muss, wo sich der Einsatz besonders lohnt.

Die Teilnehmenden wünschen sich in jedem Fall eine Rückmeldung auf ihre abgegebenen Aufgaben, da dies auch als Wertschätzung verstanden wird. Zumindest hierfür sollte von Seiten der Dozierenden Zeit eingeplant werden. Am einfachsten lässt sich dies durch die Übungen in ILIAS umsetzen, z. B. durch direktes schriftliches Feedback und/oder das Einstellen des Lernfortschrittes in „bestanden“.

Erfahrungen aus dem IQ Netzwerk

Weitere Ideen und praktische Erfahrungen mit der Beziehungsgestaltung im virtuellen Raum werden im Rahmen des IQ Netzwerks auf Veranstaltungen diskutiert. Feelgood-Manager und Erfolgsteams sind nur zwei der innovativen Ideen, die IQ Qualifizierungen umsetzen. Wir sind gespannt, welche Impulse in dem Feld zukünftig noch gesetzt werden.

Brückenmaßnahmen für Akademiker*innen mit einem im Ausland erworbenen Hochschulabschluss

Konzipierung & Durchführung: IQ Fachstelle Beratung und Qualifizierung

Erfahrung: Umsetzung virtueller Lernformate als Pilotprojekt seit 2015

Kursangebot: 

  • Unterrichtende und beratende Tätigkeiten
  • Projektmanagement und kaufmännische Grundlagen im - Gesundheits-, Kultur- und Sozialwesen
  • Pädagogische Psychologie
  • Klinische und Gesundheitspsychologie

Lernform: ca. 22-wöchiges Blended-Learning-Format mit 3 Präsenzveranstaltungen à 3 Tage

Aktuelle Durchführung: seit März 2020 ausschließlich virtuell

Technische Umsetzung: Lernmanagementsystem ILIAS & Adobe Connect-Meetings, die live stattfinden und aufgezeichnet werden

Weitere Informationen: Virtuelle Brückenmaßnahmen der IQ Fachstelle Beratung und Qualifizierung


Ein Beitrag von Katja Judas, Dozierende in den virtuellen Brückenmaßnahmenfür den Newsletter 4/2021 der IQ Fachstelle Beratung und Qualifizierung


[1] Das ergab u. a. die Abfrage zur virtuellen Umsetzung von IQ Qualifizierungsprojekten zu Beginn des Jahres durch die Fachstelle Beratung und Qualifizierung. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse können Sie hier lesen.

[2] Die Hattie-Rangliste zeigt, dass die Lehrer-Schüler-Beziehung einen großen Einfluss auf den Lernerfolg hat: URL: Hattie-Rangliste: Einflussgrößen, Effekte, Lernerfolg | Hattie-Studie (visible-learning.org) Dies lässt sich auf den Bereich der Erwachsenenbildung übertragen. (vgl. Ertel (2015): Lernen sichtbar machen. Hatties Metastudien und ihre Bedeutung für Dozenten in der Erwachsenenbildung. In: InfoMagazin Hattie 2015_v8.indd (regionalbuero-bw.de) (10.11.2021))

[3] Vgl. Sonja Klante/Angelika Gundermann: Das aktive Online-Lernen und -Lehren – Das Stufenmodell von Gilly Salmon. Online abrufbar unter: https://wb-web.de/material/methoden/das-aktive-online-lernen-und-lehren-das-stufenmodell-von-gilly-salmon.html (10.11.2021)

[4] Vgl. Edward L. Deci, & Richard M. Ryan (2008): Self-Determination Theory: A Macrotheory of Human Motivation, Development, and Health, S. 183. In: Canadian Psychology 49, 182–185.

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