Im Zuge der Bundestagswahl 2017 wurde erneut über ein Einwanderungsgesetz als Instrument der Migrationsteuerung diskutiert. Die Erwartungen an ein solches Gesetz sind allerdings nach wie vor divers. Im folgenden Überblick werden die unterschiedlichen Überlegungen der Bundestagsparteien skizziert, zentrale Argumente des wissenschaftlichen Diskurses aufgezeigt sowie der gerade zwischen CDU/CSU und SPD geschlossene Koalitionsvertrag betrachtet.

Überlegungen der Bundestagsparteien

Die Ziele, die mit einem Einwanderungsgesetz erreicht werden sollen, sowie die geforderten Instrumente, liegen teilweise weit auseinander. Gleichzeitig gibt es einige Gemeinsamkeiten in den Forderungen. Hierzu zählen die Etablierung eines Punktesystems nach kanadischem oder australischem Vorbild, die verständlichere und effizientere Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie der Wunsch nach einer gesteuerten Fachkräfteeinwanderung, die ihrerseits indirekt das Asylsystem entlasten soll.1

Die SPD legte bereits Ende 2016 einen entsprechenden Gesetzesentwurf vor.2 Auch in ihrem Wahlprogramm 2017 fordert sie ein Einwanderungsgesetz mit den Zielen der Trennung von Erwerbs- und Fluchtmigration sowie einer verständlichen und transparenten Gestaltung von Einwanderung. Dies soll durch die Einführung eines Punktesystems nach kanadischem Modell erreicht werden (a. o. O.). Darüber hinaus soll eine flexible, jährlich neu festgelegte Quote die Erwerbseinwanderung steuern.3

Auch DIE GRÜNEN plädieren für eine Vereinfachung des Einwanderungssystems und fordern ein (neues) Punktesystem zur Regelung einer nachfrage- und potenzialorientierten Einwanderung, einfachere Visaverfahren und Rückkehrmöglichkeiten nach längeren Auslandsaufenthalten. Ferner soll bei Vorliegen eines Arbeitsplatzes die individuelle Vorrangprüfung entfallen; Asylsuchenden und Geduldeten soll ein aufenthaltsrechtlicher „Spurwechsel“ in den deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht werden.4

CDU/CSU möchten vor allem die Einwanderung von Fachkräften steuern, um den demographischen Wandel auszugleichen und undokumentierte Einwanderung reduzieren und begrenzen zu können.5 Dazu sollen derzeitige Regelungen gebündelt, effizienter gestaltet und in einem „Fachkräfte-Einwanderungsgesetz“ zusammengefasst werden.

Die FDP möchte dem demographischen Wandel ebenfalls mit einem „geordneten Einwanderungsrecht“ begegnen und fordert ein Einwanderungsgesetzbuch, das die Einwanderung von Fachkräften und das Asylsystem vereinfachen soll: „Kriegsflüchtlinge“ sollen bspw. sofort Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten, die Erwerbsmigration soll durch die Reformierung der Blue Card auf ein Punktesystem umgestellt werden, bestehende Arbeitsverbote, Markteintrittsbarrieren und Vorrangprüfungen sollen aufgehoben werden.6

DIE LINKE hingegen verweigert sich der Einführung jedweder Quoten, Kontingente oder eines Punktesystems, die der Verwertungslogik des Kapitals dienen und eine selektive Einwanderungspolitik unterstützen.7

Die AFD negiert die Idee, durch Einwanderung einen Beitrag zum Ausgleich des demographischen Wandels leisten zu können, und fordert die alleinige Einwanderung von qualifizierten Menschen, die auf den aktuellen Bedarf begrenzt wird.8

 

Argumente des wissenschaftlichen Diskurses

Auch in der Wissenschaft stützen sich die Überlegungen zur Neuordnung der Einwanderungspolitik einerseits auf den Wunsch nach Vereinfachung und Systematisierung des mittlerweile sehr komplexen rechtlichen Regelwerks sowie andererseits auf eine (neue) Zielsetzung und Vision von Zu- bzw. Einwanderung.9

Gleichzeitig wird in der Wissenschaft aber auch vor unrealistischen Erwartungen an eine Einwanderungsgesetzgebung gewarnt: Die Konzentration der Debatte auf die Steuerung der Fachkräfteeinwanderung laufe Gefahr, andere Migrationsdynamiken unberücksichtigt zu lassen.10 Die Einwanderung von Drittstaatsangehörigen zu Erwerbszwecken bleibt, trotz der schrittweisen Liberalisierung des gesetzlichen Rahmens in den letzten Jahren, nach wie vor gering: Im Jahr 2016 wurden zum Zweck der Erwerbstätigkeit oder in Form der Blauen Karte EU insgesamt nur 39.897 Aufenthaltserlaubnisse an neu eingereiste Drittstaatsangehörige erteilt.11 Die Einwanderung zu Erwerbszwecken findet somit derzeit weit überwiegend im Rahmen der europäischen Binnenmigration auf der Grundlage des Freizügigkeitsrechtes statt.

Skepsis herrscht auch gegenüber dem Argument einer direkten Wechselwirkung zwischen Steuerung der Fachkräfteeinwanderung und Entlastung des Asylsystems. Denn von legalen Einwanderungswegen – wie z. B. von der sogenannten Westbalkanregelung – dürften nur wenige Menschen profitieren, die derzeit im Wege der Fluchtmigration nach Deutschland einreisen.12 Eine direkte Entlastung des Asylsystems kann also nicht durch ein Einwanderungsgesetz allein, sondern – wenn überhaupt – nur in Verbindung mit weiteren, arbeitsmarktpolitischen Programmen und Strategien erreicht werden. Die Bertelsmann Stiftung fordert in diesem Zusammenhang bspw. die Schaffung weiterer Migrationswege für nicht-akademische Fachkräfte und eine verlängerte Aufenthaltserlaubnis für eine Arbeitsplatzsuche in Deutschland.13

Nicht zuletzt geht die Wissenschaft der Frage nach, inwieweit Einwanderung überhaupt noch auf nationaler Ebene gesteuert werden kann: Der sich immer weiter entwickelnde europarechtliche Rahmen sowie das rechtspolitische Bedürfnis, flexibel auf aktuelle Migrationsdynamiken reagieren zu können, dürften dem allseitigen Wunsch nach Effizienz, Transparenz und Vereinfachung auch künftig enge Grenzen setzen.14 Dass gerade die Einführung eines komplexen Punktesystems mit vielen Ausnahmeregelungen und diversen Sonderprogrammen zu Vereinfachung und Transparenz führen soll, wird bezweifelt.15

 

Einwanderung im Koalitionsvertrag

Im aktuellen Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD (Fassung vom 07.02.2018) findet sich das Thema Einwanderung unter Punkt VIII: „Zuwanderung steuern – Integration fordern“, Unterpunkt „Erwerbsmigration“ als Instrument zur Deckung des Fachkräftebedarfs wieder.16 Gefordert wird „ein Regelwerk zur Steuerung von Zuwanderung in den Arbeitsmarkt und das damit verbundene Recht des Aufenthalts und der Rückkehr in einem Gesetzeswerk (…), das sich am Bedarf unserer Volkswirtschaft orientiert“ (ebd.). Die Bezeichnung „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ fällt nur zu Beginn im allgemeinen Teil des Koalitionsvertrags, der Begriff „Einwanderungsgesetz“ wird nicht benutzt. Ziel des neuen Gesetzes soll es sein, bereits bestehende Regelungen zusammenzufassen, transparenter zu machen und effizienter zu gestalten. Zu Grunde liegen soll dabei ein weit gefasstes Verständnis von Fachkräften, das nicht nur Einwandernde mit Hochschulabschluss, sondern auch mit abgeschlossener Berufsausbildung oder „ausgeprägten berufspraktischen Kenntnissen“ umfasst (ebd.). Die Frage nach der konkreten Umsetzung, z. B. durch ein Punktesystem, bleibt im Koalitionsvertrag allerdings offen. Die Diskussion, was ein Gesetz beinhalten sollte, um die gesetzten Ziele zu erreichen, dauert also sowohl in der Politik als auch in der Wissenschaft weiter an.17


Gastbeitrag für den Newsletter 1/2018 von Doritt Komitowski der IQ Fachstelle "Einwanderung"


[1] Thym, D., 2017: Einwanderungsgesetzgebung: Chancen und Illusionen. Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, 8/2017, Seiten 297-304. S. 298.

 

[2] SPD, 2016: Entwurf eines Einwanderungsgesetzes. 07.11.2016. https://www.spdfraktion.de/system/files/documents/einwanderungsgesetz-spd-bundestagsfraktion.pdf

 

[3] SPD, 2017: Zeit für mehr Gerechtigkeit. Unser Regierungsprogramm für Deutschland. S. 77f. https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Bundesparteitag_2017/Es_ist_Zeit_fuer_mehr_Gerechtigkeit-Unser_Regierungsprogramm.pdf

 

[4] Bündnis 90/DIE GRÜNEN, 2017: Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Einwanderungsgesetzes. Drucksache 18/11854. 04.04.2017. S. 18ff. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/118/1811854.pdf

 

[5] CDU/CSU, 2017: Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben. Regierungsprogramm 2017 - 2021. S. 11f. https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/170703regierungsprogramm2017.pdf?file=1

 

[6] Freie Demokraten (FDP), 2017: Denken wir neu. Das Programm der freien Demokraten zur Bundestagswahl 2017. S. 68ff. https://www.fdp.de/sites/default/files/uploads/2017/08/07/20170807-wahlprogramm-wp-2017-v16.pdf

 

[7] DIE LINKE, 2017: Wahlprogramm der Partei DIE LINKE zur Bundestagswahl 2017. Hannover, 9. Bis 11. Juni 2017. S. 66. https://www.die-linke.de/fileadmin/download/wahlen2017/wahlprogramm2017/die_linke_wahlprogramm_2017.pdf

 

[8] AFD, 2017: Wahlprogramm der Alternative für Deutschland für die Wahl zum Deutschen Bundestag. 24.09.2017. S. 28. https://www.afd.de/wp-content/uploads/sites/111/2017/06/2017-06-01_AfD-Bundestagswahlprogramm_Onlinefassung.pdf

 

[9] Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), 2017: Neuordnung der Einwanderungspolitik. Ein Einwanderungsgesetzbuch für Deutschland. Position. Berlin, 2017. S. 1ff. ; Thym a. o. O., S. 297ff.

 

[10] Thym a. o. O., S. 298.

 

[11] Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), 2017: Wanderungsmonitoring: Erwerbsmigration nach Deutschland. Bericht für das Jahr 2016. Nürnberg: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. S. 16.

 

[12] Thym a. o. O., S. 299 m. w. N.

 

[13] Bertelsmann Stiftung, 2017: Deutschland braucht ein Einwanderungsgesetz. Policy Brief Migration. August 2017. S. 3. https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Migration_fair_gestalten/IB_PolicyBrief_Einwanderungsgesetz_082017_01.pdf

 

[14] SVR a. o. O., S. 4.

 

[15] Thym a. o. O., S. 300.

 

[16] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. Ein neuer Aufbruch für Europa Eine neue Dynamik für Deutschland Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. S. 103ff. http://www.tagesspiegel.de/downloads/20936562/4/koav-gesamttext-stand-070218-1145h.pdf

 

[17] Groß, Th., 2018: Fachkräfte-Zuwanderung: Ein Gesetz muss Deutschland attraktiver machen. 15.02.2018. https://mediendienst-integration.de/artikel/gastbeitrag-thomas-gross-fachkraefte-koalitionsvertrag-einwanderungsgesetz.html

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