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Welche Projekte für Frauen setzen Sie mit Förderprogrammen wie IQ und MY TURN um?

Im Rahmen des Regionalen Integrationsnetzwerkes Berlin realisiert die Goldnetz gGmbH die IQ Qualifizierungsbegleitung „side by side“ in Form eines Mentoringprogramms. Ihr MY TURN-Projekt „Women for Work“ bietet Beratung und Coaching zu den vielfältigen Aufgaben des Alltags und den Arbeitseinstieg für Frauen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf. Fachliche Begleitung und der empowernde Ansatz „von Frauen für Frauen“ sind für Angela Dovifat wichtige Elemente ihrer Projekte.

Frau Dovifat, ein Schwerpunkt Ihrer Projekte liegt auf der Zielgruppe Frauen, häufig auch auf Frauen mit Migrations- oder Fluchterfahrungen. Wie kam es dazu?

Die Arbeit für und mit Frauen ist das Herz von Goldnetz und gründungsimmanent. Die Zielgruppe lag bereits unseren Gründerinnen sehr am Herzen. Goldnetz e. V. wurde Anfang der 90er Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung gegründet. Damals hatten im Ostteil der Stadt viele Frauen ihre Stellen verloren oder angedachte Ausbildungen konnten nicht mehr wie geplant stattfinden. Auch andere Rahmenbedingungen hatten sich geändert, wie zum Beispiel die Kinderbetreuung. Unsere damaligen Gründerinnen engagierten sich sehr für diese Frauen und begannen, Orientierungs-, Schulungs- und Beschäftigungsprogramme zu initiieren.

Im Laufe der Jahre haben wir dann immer wieder geprüft, ob es neue Zielgruppen und Bedarfe gibt. In den Beschäftigungsmaßnahmen war es schon vor 2015/2016 unser Ziel, zum Beispiel Frauen aus der türkischen oder der arabischen Community zu erreichen, die ihre Familien versorgt und wenig Deutsch gelernt haben und ihnen unabhängig vom familieneigenen Wirkungskreis eine berufliche Perspektive zu eröffnen.

Als 2015 der schreckliche Krieg in Syrien begann und viele Frauen nach Deutschland flüchteten, war uns klar: Diese Situation, dass Frauen in den Familien bleiben und ihr eigenes Potenzial nicht ausschöpfen, soll sich nicht wiederholen.

 

Bei Ihrem Projekt „side by side“ handelt es sich um eine IQ Qualifizierungsbegleitung. Was umfasst das Angebot und wie geht es auf die besonderen Bedürfnisse von Frauen ein?

„Side bei side“ richtet sich an qualifizierte Frauen mit Zuwanderungserfahrung. Wir haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass gerade zugewanderte Frauen oft Tätigkeiten ausführen, die nicht ihrer eigentlichen Qualifikation entsprechen, weil sie erst einmal Geld verdienen wollen und dann sozusagen „stecken bleiben“. Hier gibt es ein großes Potenzial, das nicht zum Tragen kommt – für den Arbeitsmarkt und natürlich auch für die Frauen.

Diese Situation möchten wir verhindern bzw. ändern, indem wir diesen Frauen eine berufserfahrene Berlinerin an die Seite stellen, eine Mentorin. Dieses Tandem aus Mentee und Mentorin wird durch das Programm “side by side” mit unterschiedlichen Angeboten ein Jahr lang begleitet. In diesem Rahmen kann jede der beiden Frauen Einzelcoachings und thematische Workshops mit den Projektmitarbeiterinnen in Anspruch nehmen oder von unterschiedlichen gemeinsamen Veranstaltungen profitieren, wie Messebesuchen oder Unternehmensexkursionen. Ziel der gemeinsamen Tandemarbeit ist das Entstehen beruflicher Einstiegschancen für die Mentee. Wichtig ist dabei, dass Mentee und Mentorin aus einer ähnlichen Branche kommen, so dass den Mentees das entsprechende berufliche Netzwerk und die beruflichen Erfahrungen zugutekommen können. Ein gutes “Matching“, sowohl auf fachlich/inhaltlicher als auch persönlicher Ebene ist dabei zentral.

Das Attraktive an dieser Struktur ist, dass auch die Mentorinnen profitieren! Man kann den Mehrwert für sie als Personalentwicklungsmaßnahme beschreiben, denn sie bekommen hilfreiche Methoden aus der Beratung oder dem Coaching vermittelt, um die Entwicklung ihrer Mentee gut begleiten können. Außerdem erwerben sie interkulturelle Kompetenzen. All das kann sich positiv auf ihre eigene berufliche Tätigkeit oder Führungsaufgaben auswirken.

 

Und Sie haben sich ja bewusst für Frauen als Mentorinnen entschieden.

Genau, nach dem Motto „Frauen für Frauen“. Geteilte Erfahrungen und Lebenssituationen können verbinden und zeigen beiden Tandempartnerinnen, dass es unabhängig vom Herkunftsland ähnliche Herausforderungen gibt – aber eben auch, welche Unterschiede es für Frauen hier oder dort gibt. Neben dem Beratungsaspekt lernen die Tandems sich auf einer sehr guten und vielleicht persönlicheren Ebene kennen. Das heißt, die zugewanderten Frauen lernen etwas über die deutsche, sagen wir, „Arbeitskultur“, und die Berlinerinnen – das können auch sehr berufserfahrene Zugewanderte sein – lernen natürlich auch eine andere Kultur kennen. 

 

„side by side“ ist in diesem Jahr gestartet. Können Sie schon von Erfahrungen oder Herausforderungen berichten?

In der ersten Projektphase haben wir unser Diary, ein Begleittagebuch für die Tandems, sowie einen Informationsleitfaden für die Mentorinnen entwickelt. Das Diary bekommen sowohl Mentees als auch Mentorinnen, um die eigenen Erfahrungen und das Miteinander im Tandem immer reflektieren zu können. Das kann gemeinsam geschehen oder allein. Aber durch die enthaltenen Fragen ergibt sich eine Struktur für das Miteinander.

Eingliederungserfahrungen kann ich noch nicht berichten, dazu ist es noch ein bisschen früh. Aber sowohl Mentorinnen als auch Mentees interessieren sich sehr für das Programm. Wir haben schon um die 15 Tandems und weitere 10 bis 12 Mentees und Mentorinnen in der Anbahnung. Die Idee ist also attraktiv für die Zielgruppen. Wir haben bereits verschiedene Workshops durchgeführt, im Moment zum allgemeinen Kennenlernen, aber auch zur ersten Orientierung auf dem Arbeitsmarkt. Das wurde gut angenommen und es gab sehr positives Feedback. Auf die erste Vermittlung warten wir noch. Aber es sind tolle Matches, da haben wir ein gutes Gefühl.

 

Mit dem Diary kann man sicher auch gut verfolgen, wie sich das Tandem entwickelt?

Ja, das stimmt. Es ist sehr wichtig, die erreichten Erfolge festzuhalten und zu visualisieren. Das Ankommen in Deutschland kann auch eine Durststrecke sein, und dann ist es gut, wenn man auch immer wieder auf etwas Positives schauen kann. Häufig gehen Erfolge unter, die eine negativ empfundene Situation dominiert und man macht sich nicht bewusst, dass man zuvor fünf Fortschritte erlebt hat.

 

Wo liegen die Herausforderungen?

Wichtig ist, dass die Gleichberechtigung der Beziehung gewahrt bleibt und nicht z. B. die erfahrene Berlinerin Grenzen übertritt. Die Entscheidungen über die beruflichen Schritte und die hierfür nötigen Aktivitäten müssen bei der zugewanderten Frau bleiben. Aber das funktioniert gut über die Workshops und den Austausch mit den Beraterinnen. Der professionelle Background der Projektmitarbeiter*innen, ist hier entscheidend.

 

Dann kommen wir zu Ihrem Projekt „Women for Work“ im Förderprogramm MY TURN – Frauen mit Migrationserfahrung starten durch. Wo sehen Sie im Vergleich zu IQ Unterschiede?

Das Projekt MY TURN ist niedrigschwelliger angelegt. Niedrigschwellig im Sinne: Welche Sprachkompetenz ist schon vorhanden? Wie sind die Frauen schon ans Regelsystem angebunden? Gibt es berufliche Vorerfahrungen oder Ideen?

Das vorrangige Ziel ist, die Frauen zu erreichen und eventuell auch stärker von den Leistungen des Regelsystems profitieren zu lassen. Es gibt viele gute Beratungen in den Jobcentern, Sozialämtern oder auch bei Erziehungs- und Familienberatungsstellen. Den Frauen dieses System zu zeigen, sie zu unterstützen, sich darin zu bewegen, ist eine wichtige Zielsetzung des Programmes. Daraus ergibt sich dann auch ein anderes Angebot: Die Kolleg*innen sind sehr mobil unterwegs, gehen in die Stadtteilzentren, Gemeinden, kooperieren mit anderen Beratungseinrichtungen. Natürlich entsteht hier ebenfalls eine Coachingbeziehung, aber man fängt ein bisschen früher mit der Arbeit an, bearbeitet zunächst andere, ganz grundsätzliche Fragestellungen. Dann geht es aber natürlich auch um die berufliche Entwicklung und Orientierung.

 

Kann von diesem Projekt auch eine Brücke zum Förderprogramm IQ bzw. dem Projekt „side by side“ geschlagen werden?

Das ist sicher denkbar. Allerdings ist eine parallele Betreuung von Teilnehmerinnen im ESF Plus oft nicht möglich. Deshalb schauen wir bei jeder Anfrage: Was ist hier das passende Angebot? Da hilft es, dass die beiden Projekte gut miteinander vernetzt sind und potenzielle Teilnehmerinnen bei Bedarf auch direkt weitergeleitet werden können.

Bei Goldnetz sind die Kolleg*innen des Bereichs Migration gut vernetzt. Wir legen sehr viel Wert auf fachlichen Austausch. Das ist notwendig und hilfreich, weil der Bereich immer noch ein sehr dynamisches Feld ist. Es gibt immer wieder Veränderungen, Neuerungen, neue Angebote und Kontakte. Die Kolleg*innen informieren und inspirieren sich. So entstehen gute Synergien.

Wo sehen Sie weiteren Bedarf bei der Integration zugewanderter Frauen in den deutschen Arbeitsmarkt? Was würden Sie sich wünschen?

Ich würde mir mehr Unterstützung für die Unternehmen wünschen. Der Fachkräftebedarf ist groß. Viele Unternehmen stellen zugewanderte Menschen ein und machen gute Erfahrungen. Aber es gibt immer noch viele Unternehmen, denen unklar ist, was es bedeutet, jemanden zu integrieren, der die Sprache noch nicht so gut spricht, eine andere Ausbildung bzw. berufliches Mindsetting hat, und welche Herausforderungen und Chancen sich dadurch für das eigene Unternehmen ergeben. An dieser Stelle würde ich mir ein Begleitprogramm wünschen, so dass man auch längere Zeit nach der Arbeitsaufnahme noch beratend und begleitend zur Seite stehen kann. Oft zeigen sich nach einem Jahr noch Schwierigkeiten, bei denen am Anfang beide Seiten möglicherweise denken: Das wird noch, da halte ich jetzt mal still. Aber wenn es nach einem Jahr immer noch irgendeine Irritation gibt, dann passiert es eben doch, dass eine Arbeitsstelle wieder beendet wird. Und da wäre es wichtig, langfristig jemanden zu haben, der sich frühzeitig begleitend einbringen kann, oder ein 6-Augen-Gespräch führt, um diesen Situationen die Spitze zu nehmen. Durch ein solches Beratungsformat ein Setting zu schaffen, in dem die Unternehmen stabil dabei unterstützt werden, zugewanderte Frauen einzustellen, das wäre ein großer Wunsch!

Die bestehenden Projektangebote, die sich an Unternehmen richten, sind leider meist zeitlich begrenzt. Zeitliche Befristung ist in diesem Zusammenhang für alle Beteiligten fordernd – auch für die Teilnehmenden. Entstandene Coachingbeziehungen müssen beendet werden, wenn das Projekt ausläuft. Selbst wenn es wie bei IQ oder MY TURN über den ESF Plus einen relativ langen Förderzeitraum gibt, wäre auch hier eine regelhafte Unterstützung wichtig.

Zum Schluss eine Frage zur praktischen Umsetzung: Haben Sie aus „side by side“ oder „Women for Work“ schon Erfahrungen, damit die Frauen gut an den Projekten und Workshops teilnehmen können?

Das Thema Kinder ist zentral. In der Regel sind die Kinder betreut, so dass die Frau sich auf sich selbst konzentrieren kann. Aber natürlich können sie im Notfall auch mitgebracht werden. Wenn es um Qualifizierung geht, ist der Vormittag häufig eine passende Tageszeit, und die Option Teilzeit ist wichtig. Bei Ausflügen und Treffen wie beispielsweise in „side by side“ werden die Kinder tatsächlich oft mitgedacht und eingeplant.

Je nach Zielgruppe und Inhalt kann ein geschützter Raum gut sein, also dass z. B. nur Frauen die Beratungen durchführen. Aber manche Teilnehmerin sagt auch: „Ich muss ja später auch mit Männern zusammenarbeiten.“ Da muss man sensibel und flexibel sein und die Rahmenbedingungen sinnvoll anpassen.

 

© Fotos: Goldnetz gGmbH
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Angela Dovifat
ist Geschäftsführerin der Goldnetz gGmbH.
Sie hat beide Projekte mitkonzipiert und verfügt aus eigener Projektmanagementerfahrung über langjährige Eindrücke aus der Beratung und Begleitung von zugewanderten Frauen.

Weitere Informationen

► zum IQ Teilvorhaben side by side im Rahmen des Regionalen Integrationsnetzwerkes Berlin
► zum MY TURN-Projekt Women for Work
► zur Website des Programms MY TURN – Frauen mit Migrationserfahrung starten durch


Das Interview führte Katja Judas für den Newsletter 2/2023 der IQ Fachstelle Anerkennung und Qualifizierung.

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