Facebook: Dahin gehen, wo Ratsuchende sind

Fragen zum Thema Anerkennung stellen Migrant*innen auch in den sozialen Medien. Das IQ Projekt Lara – La Red nutzt dieses Kommunikationspotenzial und bietet aufsuchende Beratung bei Facebook an.

Die meisten Migrant*innen suchen die Informationen, die sie benötigen, über die sozialen Medien und Netzwerke ihrer Communitys, noch bevor sie die bestehenden institutionellen Beratungsdienste in Anspruch nehmen. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass über soziale Medien Informationen sehr schnell und leicht zugänglich zur Verfügung stehen sowie dass der direkte Informations- und Erfahrungsaustausch mit anderen Nutzenden in der eigenen Muttersprache erfolgen kann. Wie kann das Netzwerk IQ dieses Community- und vertrauensbasierte Kommunikationspotenzial in der Anerkennungsberatung nutzen? Die Erfahrungen des Projekts Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung im IQ Landesnetzwerk Berlin können Aufschluss geben.

Nutzer geben oft irreführende Informationen weiter

Neben einer Vielfalt an Themen wie Wohnungssuche, Arbeitsrecht oder Aufenthaltsverfahren ist die Frage der Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen in Online-Foren häufig Gegenstand des Interesses. Aufgrund der Komplexität des Themas, der Länge der Anerkennungsverfahren und der gesetzlichen Unterschiede zwischen den Bundesländern bleiben die Fragen der Nutzenden oft unbeantwortet oder die Reaktionen beschränken sich auf oberflächliche, oft irreführende Informationen, die mit den persönlichen Erfahrungen einzelner Nutzer*innen verknüpft sind. Die Ratsuchenden mögen sich zwar beruhigt fühlen, dass sie nicht die Einzigen sind, die solche Erfahrungen gemacht haben, doch wirkt sich dies negativ auf die Zuverlässigkeit der Informationen aus. Professionelle Informations- und Beratungsarbeit in sozialen Medien ist daher unverzichtbar, um den negativen Auswirkungen von Fehlinformationen entgegenzuwirken und gleichzeitig den Integrations- und Orientierungsprozess von Neuzuwandernden zu unterstützen sowie als wichtiges Instrument zur Identifizierung und Akquise neuer Beratungsanfragen.

La Red verfügt über eine starke Online-Reputation

Als Migrantenorganisation ist La Red – Vernetzung und Integration bereits seit 2013 für die Integration von Neuzugewanderten in die Bildung, in den Beruf und in die Gesellschaft in Berlin engagiert. Dank der konstanten Aktivität in den sozialen Medien hat sich der Träger in den letzten Jahren eine starke Online-Reputation aufgebaut und verfügt heute mit über 8.000 Fans über eine der bundesweit am meisten beachteten Facebook-Seiten von Migranten-Communitys. Das Team des Projekts LaRA – La Red Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung, Teilprojekt im IQ Landesnetzwerk Berlin, ist seit Juni 2019 in den sozialen Medien – und insbesondere auf Facebook – aktiv, zunächst für die Zielgruppe der spanischsprachigen Zugewanderten aus Lateinamerika und der EU sowie der Italiener*innen in Berlin. Ab Herbst 2019 wurde die Online-Aktivität durch die Verwendung von Arabisch in den entsprechenden Communitys – v. a. für die Zielgruppe der Drittländer – gestärkt. Der Ansatz der aufsuchenden Beratung sieht vor, dass die Berater*innen mit Hilfe von sozialen Medien dorthin gehen, wo potentielle Ratsuchende sich informieren und austauschen, um aktiv mit ihnen in Kontakt zu treten („digital Streetwork”) und sie zur Inanspruchnahme der Dienstleistungen einzuladen. Unverzichtbar für den Erfolg dieses Ansatzes die entsprechenden Muttersprachkenntnisse innerhalb des aufsuchenden Beratungsteams. Um effektiv zu sein, muss die Arbeit der aufsuchenden Beratung in den spezifischen Sprachen der Zielgruppe durchgeführt werden.

1. Identifikation von und Zugang zu Social Media Spaces

Der erste Schritt besteht darin, die von den Zielgruppen genutzten Kanäle zu identifizieren. Das LaRA-Team hat die Plattform Facebook als Hauptkanal für seine aufsuchende Beratung gewählt und ist in rund 90 Gruppen (für Spanisch, Italienisch und Arabisch) mit insgesamt 499.585 Mitgliedern aktiv. Diese Gruppen beziehen sich meist auf die Nationalität bzw. die Herkunftsregion (z. B. Argentinos en Berlin, Syrer in Berlin, Italiani a Berlino), aber auch zusätzlich auf Berufsgruppen wie Medicos Latinoamericanos en Alemania, syrische Ärzte in Deutschland, Architetti italiani a Berlino, wobei letztere im Hinblick auf die Beratungstätigkeit im Zusammenhang mit der Anerkennung von Qualifikationen noch relevanter sind. Die Größe der Gruppen variiert sehr, aber in allen tauchen zahlreiche beratungsrelevante Fragen auf.

2. Monitoring und aktive Teilnahme an Diskussionen

Sobald die für das Projekt relevanten Online-Foren nach ihrer geographischen Ausdehnung und den relevanten Sprach- oder Berufsgemeinschaften bestimmt worden sind, ist es notwendig, sich in diesen Räumen durch berufliche Profile zu bewegen. Durch die Suchfunktion mit Community-spezifischen Schlüsselwörtern ist es möglich, Personen zu identifizieren, die sich dem Anerkennungsverfahren nähern und daher Fragen zu Themen wie Übersetzung von Dokumenten, Suche nach den passenden zuständigen anerkennenden Stellen, Kosten des Anerkennungsverfahrens und vielen anderen Themen im Zusammenhang mit der Anerkennung stellen. Die Berater*innen identifizieren und beantworten diese Fragen und nehmen an den Diskussionen teil, um falsche Antworten zu korrigieren und zusätzliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Neben der Beantwortung bestehender Fragen kann das Team auch Diskussionen anregen, indem es Informationen in diesen Gruppen teilt. So erreichen Berater*innen nicht nur Personen, die sich bereits für das Thema interessieren, sondern können auch die Zielgruppe erweitern. Die Tätigkeit der Berater*innen wird durch eine Facebook-Seite mit der Veröffentlichung von Beiträgen in vier Sprachen unterstützt. Zudem enthält diese Facebook-Seite Verlinkungen zu den relevantesten Multiplikator*innen wie Botschaften, Kulturinstituten, anderen Beratungsstellen und Migrantenorganisationen. Außerdem erstellen die Berater*innen bei erhöhtem Informationsbedarf Pressemitteilungen, die den wichtigsten Online-Zeitungen der jeweiligen Communitys zukommen können. So soll die Veröffentlichung von Artikeln zum Thema Anerkennung und ihre Verbreitung in den sozialen Medien angeregt werden.

3. Verweis an die IQ Anerkennungsberatung

Die Arbeit der aufsuchenden Beratung in Facebook-Gruppen hat eine datenschutzrechtliche Einschränkung. Die Online-Tätigkeit der Berater*innen beschränkt sich darauf, bestehende Fragen zu identifizieren, diese mit allgemeinen Informationen zu beantworten und endet mit der Einladung zu einer klassischen Erstberatung in die Anerkennungsberatungsstellen des Netzwerks IQ, bei der alle Datenschutzstandards gewährleistet werden können. Nach den derzeitigen Möglichkeiten kann die Beratung nicht direkt und abschließend auf den sozialen Plattformen erfolgen, da die Beratenden für eine Anerkennungsberatung stets eine Reihe von persönlichen Daten erfragen und die Originalunterlagen einsehen müssen – ein Verfahren, das auf keiner sozialen Plattform sicher ist.

Online-Beratung wirkt sich positiv auf die „Offline-Beratung” aus

Mit seinem Social Media-Beratungsansatz in Form von kontinuierlicher und glaubwürdiger sowie die Nutzenden unterstützenden Arbeit baut das LaRA-Beratungsteam eine dauerhafte und weitreichende Online-Reputation auf. Statistische Daten zeigen auch, dass soziale Netzwerkaktivitäten zu einem Anstieg der Anzahl der Beratungen geführt haben. Betrachtet man z. B. die Zielgruppe der Italiener*innen in Berlin, die eine der beiden ersten Zielgruppen in der Online-Arbeit des Projekts LaRA darstellten, so stellt man fest, dass die Zahl der Beratungen im Vergleich zum Vorjahr erheblich gestiegen ist, obwohl die Online-Aktivität erst im Juni begonnen hat (186 italienischsprachige Beratungen in Berlin im Jahr 2019 gegenüber 108 im Jahr 2018). Die Beratungs-Statistik für die Zielgruppe der Italiener*innen in der Anerkennungsberatung in Berlin zeigt auch, dass die meisten von ihnen (31 %) über die sozialen Medien auf die Aktivitäten des Netzwerks IQ aufmerksam geworden sind.

Traditionelle Beratung wird via Social Media ergänzt und erweitert

Der Coronavirus-Notstand stellt für die Zielgruppe eine neue Herausforderung mit einer Zunahme von primären Existenzfragen wie Verlust des Arbeitsplatzes, Leistungen für Selbständige oder Familien usw. dar. Da die Anerkennung ein unverzichtbarer Faktor für die Integration bzw. den Wiedereinstieg in das Berufsleben nach dem Ende der  Notlage ist, setzt das Beratungs-Team darauf, die Aktivitäten der aufsuchenden Beratung in dieser Krisenzeit zu intensivieren und auf die englischsprachige Zielgruppe auszuweiten. Der rege Austausch von Fragen und Erfahrungen in den sozialen Medien bietet ein wichtiges Potential für die Ausübung von Beratungsarbeit bzw. die Bereitstellung von Informationen sowie für die Ermittlung konkreter Beratungswünsche und -bedürfnisse. Social-Media-Plattformen können daher als innovatives Instrument zur Ergänzung und Erweiterung der traditionellen Beratungsangebote eingesetzt werden.

Über die Autorin

Laura Sajeva ist Kommunikationswissenschaftlerin und Anerkennungs- und Qualifizierungsberaterin beim Träger La Red im IQ Landesnetzwerk Berlin.

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