Neue Studie der Bertelsmann Stiftung veröffentlicht: Bürgersinn hängt nicht von der Herkunft ab

[Bertelsmann Stiftung] Die Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass die in Deutschland lebenden Menschen sehr ähnliche Vorstellungen davon haben, was eine gute Bürgerin bzw. einen guten Bürger ausmacht. Unterschiedliche Einstellungen hängen besonders vom Alter und Wohnort ab – weniger hingegen vom Migrationshintergrund.

Für die große Mehrheit aller in Deutschland lebenden Menschen kann jeder eine gute Bürgerin bzw. ein guter Bürger sein – unabhängig davon, ob er in Deutschland oder im Ausland geboren ist. Zudem herrscht bei 90 Prozent der Menschen Einigkeit darüber, was eine gute Bürgerin bzw. einen guter Bürger ausmacht. Zwar messen die verschiedenen Gruppen den verschiedenen Eigenschaften einer guten Bürgerin bzw. eines guten Bürgers unterschiedliches Gewicht bei – Menschen mit und ohne ausländische Wurzeln unterscheiden sich in ihrem Urteil aber kaum. Viel größer ist hingegen der Unterschied zwischen den Menschen in Ost- und Westdeutschland sowie zwischen den Generationen. Zu diesen Ergebnissen kommt die Studie der Bertelsmann Stiftung auf der Grundlage einer repräsentativen Umfrage von Kantar Emnid. Anhand von 15 Eigenschaften haben die Meinungsforscher gemessen, wie wichtig den Menschen verschiedene Bürgerinnen- bzw. Bürgertugenden sind.

Die höchste Zustimmung erhielten die Antworten "Gesetze befolgen", "Respekt vor älteren Menschen zeigen" und "eigenverantwortlich für seinen Lebensunterhalt sorgen" mit jeweils 98 Prozent. Am seltensten nannten die Befragten "Bereitschaft zum Militärdienst" (48 Prozent) und "seinen Stolz auf Deutschland zeigen" (61 Prozent) als Bürgerinnen- bzw. Bürgertugenden. Bertelsmann Stiftung-Vorstand Jörg Dräger sieht die Studienergebnisse als ermutigendes Zeichen in der aktuellen Debatte um weltanschauliche Gräben in der deutschen Gesellschaft: "Der Eindruck großer gesellschaftlicher Spaltung täuscht. Die allermeisten Menschen in Deutschland teilen grundsätzliche Ansichten darüber, welche Haltungen und Handlungen für die Bürgerinnen bzw. Bürger wünschenswert sind. Darauf kann man ein gutes gesellschaftliches Miteinander aufbauen, gerade in einem Einwanderungsland wie Deutschland."

Bei den Menschen mit ausländischen Wurzeln gibt es Unterschiede zwischen den im Ausland und den in Deutschland Geborenen. Zwar werten beide Gruppen den Respekt vor Älteren und gegenüber Anhängerinnen bzw. Anhängern anderer Religionen höher, als dies Personen ohne ausländische Wurzeln tun. Jedoch sprechen sich im Ausland geborene Migrantinnen bzw. Migranten häufiger dafür aus, im eigenen Umfeld auf Recht und Ordnung zu achten, Stolz auf Deutschland zu zeigen und bereit zum Militärdienst zu sein. In Deutschland geborene Menschen mit Migrationshintergrund hingegen bewerten diese Punkte ähnlich wie die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Dazu Dräger: "In Deutschland aufzuwachsen, hat eine große integrative Kraft – unabhängig von den Wurzeln der eigenen Eltern."

Für fast alle Befragten sind die Familie und die Schule wichtige Orte, um Bürgerinnen- bzw. Bürgersinn zu vermitteln. Nur rund die Hälfte misst hier Kirchen, Religionsgemeinschaften und Medien eine große Bedeutung zu. Vereine sind für 64 Prozent der Menschen ohne Migrationshintergrund Vermittler von Bürgerinnen- bzw. Bürgertugenden. Bei den Menschen mit Migrationshintergrund teilen nur 52 Prozent diese Ansicht. Dieser Unterschied ist bei der Berücksichtigung des Wohnorts ähnlich groß: 64 Prozent der Westdeutschen sehen Vereine als wichtig an, in Ostdeutschland sagen dies nur 56 Prozent.

Jüngere Menschen hingegen messen der Toleranz gegenüber Mitmenschen und dem Respekt vor anderen Religionen mehr Bedeutung zu als ältere Menschen. Jörg Dräger führt dies darauf zurück, dass die durch Migration gestiegene Vielfalt für die jungen Menschen in Deutschland eher gelebte Normalität ist als für die älteren. So belege die Haushaltsbefragung Mikrozensus, dass der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund in der jüngeren Generation wesentlich höher ist als bei den Älteren.

Die unterschiedlichen Bewertungen in Ost und West hängen nicht direkt mit der unterschiedlichen wirtschaftlichen Lage beider Landesteile zusammen. Sie sind eher auf die unterschiedlichen historischen Erfahrungen zurückzuführen, die Ost- und Westdeutsche im Miteinander von Staat und Bürger gesammelt haben. Unterm Strich bleibe aber, so Dräger, ein bemerkenswerter Konsens im Land über Rechte und Pflichten von Bürgerinnen bzw. Bürgern über alle ethnischen, sozialen und generationellen Grenzen hinweg.

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