Bedeutung und Funktion organisationaler Netzwerke

Bedeutung und Funktion organisationaler Netzwerke

Der Begriff des „Netzwerks“ ist trotz langjähriger wissenschaftlicher Thematisierung nach wie vor sehr schillernd. Hier werden nur Netzwerke betrachtet, die von Organisationen gebildet werden. Diese Netzwerke sind kein Selbstzweck, sondern werden geschaffen, weil sich alle Akteure einen Nutzen für sich selbst bzw. ihre Organisation versprechen, so Prof. Dr. Claus Reis.

Nutzen und Funktion hängen vom Charakter des Netzwerks ab. In richtungsoffenen „Informationsnetzwerken“ werden Informationen ausgetauscht, (politische) Probleme definiert und Problemlösungen diskutiert, ohne dass die Geschäftsprozesse der beteiligten Organisationen davon berührt wären. Zielorientierte Netzwerke können als zeitlich befristete „Projektnetzwerke“ oder als „Produktionsnetzwerke“ beschrieben werden. Trotz des Begriffs „Produktionsnetzwerk“ handelt es sich dabei nicht zwingend um materielle Produkte, sondern meist um Dienstleistungen, die in diesen Netzwerken für Personen oder Organisationen erbracht werden. Das Kennzeichen der Letztgenannten besteht darin, dass Organisationen über einen z. T. längeren Zeitraum hinweg gemeinsam Leistungen erbringen. Bei allen funktionalen Unterschieden zeichnen sich Netzwerke dadurch aus, dass die in ihnen tätigen Akteuren mit „hierarchischen“ Mitteln wie Anweisungen nicht steuerbar sind, die Zusammenarbeit vielmehr über „weiche“ Medien wie Vertrauen, Verlässlichkeit und Selbstverpflichtung der Akteure gesteuert wird. Zentralität kommt der „Verlässlichkeit“ zu, die sich in der mittelfristigen Reziprozität der Beziehungen ausdrückt – dem wechselseitigen Austausch, der für alle Beteiligten Nutzen stiftet. Für ein komplexes Vorhaben wie den Aufbau und die Stabilisierung von Netzwerken (insbesondere Produktionsnetzwerken) wurden in einschlägigen Forschungsarbeiten (vgl. z. B. Huxham/ Vangen) eine Reihe von Erfolgsfaktoren festgestellt:

Gemeinsame Ziele – Diese spielen spielen in jeder Phase der Netzwerkarbeit eine tragende Rolle und die Akteure im Netzwerk müssen regelmäßig über deren Aktualität reflektieren. Für eine nachhaltige Netzwerkarbeit erweist sich eine gemeinsame Zielstellung als zentrale Voraussetzung. Sie ist Teil eines kontinuierlichen Aushandlungsprozesses und Orientierungsmarke für eine langfristige Perspektive.

Erkennbarer Nutzen des Netzwerks für die Akteure – Für die Beteiligten muss sich regelmäßig der Nutzen für die eigene Praxis erschließen, sonst können sie nicht über lange Zeit im Netzwerk gehalten werden. Es geht dabei nicht notwendig um kurzfristige Erfolgsmeldungen, doch den Akteuren darf perspektivisch der Zugewinn für die eigene Arbeit nicht aus dem Blick geraten.

Verbindlichkeit und Verlässlichkeit der Arbeit – Vereinbarungen über Ziele und die daraus resultierenden Aufgaben aller Akteure müssen eine verbindliche Richtschnur der Netzwerkarbeit sein. Auch bei teilweise konfligierenden Interessen müssen die Akteure die besonderen Bedingungen im Netzwerk respektieren und verlässlich die ihnen zugewiesene Funktion im Netzwerk erfüllen. Die Zusammenarbeit basiert darauf, das Vereinbarte aus einer gemeinsamen Selbstverpflichtung heraus zu erfüllen.

Klare Aufgabenstrukturen – Netzwerkarbeit ist für viele Beteiligte Zusatzarbeit. Daher ist es vielerorts eine Frage der Organisati- on und Aufgabenverteilung, ob ein Netzwerk existieren kann oder nicht.

Existenz und Akzeptanz von Netzwerkregeln – Sinnbildlich für den besonderen Charakter von Netzwerkarbeit im System sozialer Dienstleistungen ist es, dass die Akteure sich selbst eigene Regeln geben (müssen).  

Klarer Fokus auf Zielgruppe – Die gemeinsame Aufgabenstellung im Hinblick auf eine Zielgruppe stellt das „einigende Band“ der Netzwerkakteure dar. Bedarfslagenorientierte Hilfe zwischen den Akteuren abzustimmen bedeutet dann nicht nur eine Verbesserung des Unterstützungsangebotes, sondern stabilisiert zugleich das Netzwerk.

Mitwirkung von Entscheidungsträgern – Um die Netzwerkarbeit auf Dauer stellen zu können, dürfen sich die Regelungen und Abstimmungen nicht darauf beschränken, dass die Akteure fallbezogen besser miteinander kooperieren. Um grundlegendere Regelungen zu treffen, Arbeitsabläufe verbindlich und fallübergreifend abzustimmen – braucht es die Zustimmung der jeweiligen Leitungsebene der Einzelorganisationen.

Erhaltung der Autonomie der einzelnen Akteurinnen und Akteure – Dies beinhaltet zunächst die Berücksichtigung der Zielvorstellungen aller am Netzwerk Beteiligten und setzt sich bei der Festlegung von Regeln fort. Jenseits der Teilnahme am Netzwerk müssen die einzelnen Akteure immer auch autonom handeln können.

Überzeugungsarbeit nach „innen“ – Um eine dauerhafte Struktur- und Ablaufgestaltung gewährleisten zu können, müssen die innovativen Ideen des Netzwerks in die Organisationen zurückgespiegelt werden.

Wie diese Erfolgsfaktoren zeigen, sind Aufbau und Pflege oder gar die dauerhafte Institutionalisierung von Netzwerken alles andere als trivial und erfordern hochprofessionelles Management. Dies wird nicht zum „Nulltarif“ zu haben sein – von daher gilt es, genau darauf zu achten, folgende „Stolpersteine“ zu vermeiden:

  • Keine gemeinsam geteilten (oder nur vage formulierte) Ziele
  • Orientierung am bestehenden Angebot, nicht an der Bedarfslage der Zielgruppe
  • Geringe Kenntnis der Aufgaben der Kooperationspartner und Verfestigung von Vorurteilen
  • Unklarheit der Partner über „Nutzen“ für die eigene Arbeit
  • Unklarheit über zukünftige (z.B. zeitliche) „Belastungen“
  • Unzureichende Ressourcenausstattung
  • Autonomie der Akteure scheint eingeschränkt („Machtfrage“).

Insbesondere der Umgang mit „Macht“ spielt eine große Rolle für den Erfolg oder Misserfolg von Netzwerken. Häufig sind Akteure im Netzwerk tätig, die über umfangreichere Ressourcen oder weitergehende rechtliche Kompetenzen verfügen als die Netzwerkpartner. Es ist alles andere als zwingend, dass diese Akteure auch eine „Führungsrolle“ im Netzwerk einnehmen, unter Umständen ist dies sogar kontraproduktiv. Grundsätzlich ist es notwendig, ein bestehendes Machtgefälle zu reflektieren und strukturell zu bearbeiten. Letzteres bedeutet, dass „mächtige“ Akteure bereit sind, sich zu Gunsten gemeinsam erarbeiteter Ziele „zurückzunehmen“. Auf alle Fälle müssen Ziele, Interessen, „Opfer“ und „Gewinne“ aller Akteure transparent gemacht werden.

Über den Autor

Prof. Dr. Claus Reis,
Professor am Fachbereich 4 Soziale Arbeit und Gesundheit an der Frankfurt University of Applied Sciences.

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