Bürokratie: Vor der Selbständigkeit warten hohe Hürden

Fachkräfte können auch als Selbständige nach Deutschland kommen. Doch das Verfahren ist aufwändig. Der Gründungsprozess für Personen, die vom Ausland aus in Deutschland unternehmerisch tätig werden möchten, muss optimiert werden.

Am 1. März 2020 tritt das lang erwartete Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft. Im bundesweiten IQ Netzwerk bereiten sich gerade viele Teilprojekte auf die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen und ihre Folgen vor. Es werden Prozessketten geschmiedet und Willkommenspakete geschnürt. Die Bundesregierung schätzt, dass pro Jahr zusätzlich 25.000 Fachkräfte aus aller Welt eine abhängige Beschäftigung in Deutschland finden werden. Fachkräfte können aber auch als Selbstständige nach Deutschland kommen, sei es als Gewerbetreibende oder zur Ausübung eines freien Berufes.

Hohe Auflagen für Fachkräfte, die in Deutschland gründen möchten

Insbesondere für Gewerbetreibende ist der Prozess aufwändig. Es gibt strenge Voraussetzungen und mitunter intransparente Verfahren – mögliche Gründe dafür, dass die Zahl der erteilten Aufenthaltserlaubnisse überschaubar ist. Diese lag laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2018 bei 1.744. Hier ist noch Luft nach oben. Die rechtliche Grundlage ist Paragraph 21 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Es gibt mehrere Entscheidungskriterien für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Paragraph 21 Abs. 1, der für gewerbliche Existenzgründungen von Fachkräften gilt; alle Kriterien sind zu erfüllen. Eine Aufenthaltserlaubnis kann demnach erteilt werden, wenn ein wirtschaftliches Interesse oder ein regionales Bedürfnis vorliegt, wenn die Existenzgründung eine positive Auswirkung auf die Wirtschaft erwarten lässt und die Finanzierung durch Fremd- oder Eigenkapital gesichert ist. Weiter führt der Paragraph aus, dass die Qualität der Gründungsidee, die unternehmerischen Erfahrung der gründenden Person, die Höhe des Kapitaleinsatzes, die Auswirkungen für den Arbeits- und Ausbildungsmarkt und der Einfluss auf Innovation und Forschung zu prüfen sind.

Regionale Aspekte können bei Gewerbeansiedlung ausschlaggebend sein

Für zwei Personengruppen gelten die oben aufgeführten Kriterien nicht. Ausländische Personen, die in Deutschland ein Studium erfolgreich abgeschlossen haben oder als Forscher eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, können eine Aufenthaltserlaubnis abweichend von Paragraph 21 Abs. 1 für die Selbstständigkeit erhalten, wenn die Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Studium oder der Forschung steht (Paragraph 21 Abs. 2a). Die zweite Gruppe sind ausländische Gründerinnen und Gründer, die eine freiberufliche Tätigkeit anstreben (Paragraph 21 Abs. 5). Die Formulierungen im Paragraph 21 AufenthG bergen Chancen, aber auch Risiken. Von Vorteil ist sicherlich, dass die Entscheidung zur Gewerbeansiedlung nach regionalen Gesichtspunkten getroffen werden kann. Auf der anderen Seite wird zum Beispiel im Paragraphen keine Kapitaleinsatzsumme genannt. In der Durchführungsverordnung zum Aufenthaltsgesetz (hier sind die letzten Novellierungen des Aufenthaltsgesetzes noch nicht aufgefasst) wird aber von einem Mindestkapitaleinsatz von 250.000 Euro ausgegangen.

Website informiert ausländische Existenzgründer*innen

Zur Vorabinformation steht den Existenzgründerinnen und -gründern die Plattform www.wir-gruenden-in-deutschland.de des Netzwerks IQ (betrieben von der IQ Fachstelle Migrantenökonomie und dem AAU e.V. Nürnberg) in zurzeit 14 Sprachen zur Verfügung. Die Website ist sehr detailliert und umfasst neben Informationen zu Existenzgründung und Unternehmerturm in Deutschland auch Hinweise und Verlinkungen zu den Themen Aufenthaltsrecht und Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen.

Wissen über Aufenthalterlaubnis für Selbständige fehlt

Der Gründungsprozess für Personen, die vom Ausland aus in Deutschland gründen möchten, muss optimiert werden. Erster Anlaufpunkt für Gründungsinteressierte ist die jeweilige deutsche Auslandsvertretung (Konsulat oder Botschaft). Offenbar ist aber nicht allen Mitarbeitenden der Visastellen geläufig, dass Aufenthaltserlaubnisse zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit möglich sind. Das zeigt das Beispiel von Eve aus China, die sich vom AAU e.V. beraten ließ, und ihre Erfahrung mit der Auslandsvertretung per E-Mail schilderte: „Although I was quite surprised that the officer, who interviewed me, said he had no idea what kind of visa they should categorize me and he had never been dealing with this kind of visa before. But he said they would look into it.“ Eve hatte einen Antrag nach § 21 (5) als freiberufliche Übersetzerin gestellt. Inzwischen hat sie ein dreimonatiges Visum zur Ausübung ihrer freiberuflichen Tätigkeit erhalten. Wie sinnhaft ein auf drei Monate befristetes Visum für eine Gründung ist, sei dahingestellt.

Lange Wartezeiten, hohes Risiko, wenig Sicherheit

Verbessert werden muss auch die Erreichbarkeit der deutschen Auslandsvertretungen. Immer wieder erreichen uns Meldungen, dass auf einen Termin zur Abgabe des Antrags mehrere Monate gewartet werden muss. Potenzielle Existenzgründerinnen und -gründer aus Russland haben darauf hingewiesen, dass sie aufgefordert wurden, die Gründung einer GmbH bzw. AG in Deutschland nachzuweisen, bevor sie einen Antrag stellen könnten. Man erwartet also, dass ein Kapitaleinsatz von rund 30.000 Euro getragen werden soll, ohne Garantie, dass das Gewerbe in Deutschland ausgeübt werden darf und ohne Garantie, den entsprechenden Aufenthaltstitel auch wirklich zu erhalten.

Genehmigungsverfahren dauert lange

Im nächsten Schritt sendet die deutsche Auslandsvertretung die Unterlagen des Antragsstellers an die lokale Ausländerbehörde in Deutschland. Diese reicht die Unterlagen dann an die regionale zuständige Stelle (in den meisten Fällen die IHK) weiter. Die Antwort an die antragstellende Person nimmt denselben Weg zurück. Mehrfach berichteten Gründerinnen und Gründer, dass auf Nachfrage jede Stelle im Prozess behauptete, die Unterlagen bereits bearbeitet und weitergeleitet zu haben, bzw. die Unterlagen noch nicht bekommen zu haben. Leider erlaubt der Prozess keine direkten Rückfragen beim Antragsteller bzw. diese Möglichkeit wird nicht genutzt.

Schwierige Kommunikation zwischen Antragsteller*in und Behörde

Exemplarisch sei hier der Fall von Ygor aus Russland genannt, der im Jahre Mai 2018 eine GmbH in Deutschland gründete, ohne bis heute in dieser arbeiten zu können. In seinem Widerspruch gegen den negativen Bescheid zu seinem Antrag nach § 21 Abs. 1 führt er aus: „Dabei sind keine Verfahren sowie keine Art der Kommunikation zwischen dem Antragsteller und der Behörde festgelegt, welche diesen Antrag behandelt. (…) Der zuständige Mitarbeiter erwartete Unterlagen und der Antragsteller mit seinem Berater legte andere vor. Es gibt keine Möglichkeit, darüber Kenntnis zu erlangen, welche zusätzlichen Informationen benötigt wurden, um Klarheit zu schaffen. Indem die zuständigen Mitarbeiter versuchen, ihre Neutralität als Beurteiler zu bewahren, verwirren sie nur, da sie kein informatives Feedback geben dürfen. (…) Einige Bemerkungen, erhalten während der Businessplanerstellung, wiesen sehr subjektiven Charakter auf.“ Die Ausführungen zeigen einige Verbesserungspotenziale im Prozess auf.

IQ Fachstelle Migrantenökonomie könnte helfen

Schon auf den Seiten der deutschen Auslandsvertretungen gibt es unterschiedlichste Informationen zur Antragstellung nach § 21, manche Botschaften halten hierzu überhaupt keine Informationen und Antragsformulare vor (Indien), andere Vertretungen könnten als Vorbild dienen (Vereinigte Arabische Emirate). Auch die Möglichkeit der Kommunikation zwischen Antragstellenden und Entscheider*innen sowie das „Vier- Augen-Prinzip“ sollten implementiert werden. Bei der Zwickmühle Hilfestellung und Neutralität, in der sich die zuständigen Stellen für die Stellungnahme zum Businessplan durch die Doppelaufgabe Beratung und Beurteilung befinden, könnte der bei der IQ Fachstelle Migrantenökonomie des ism e.V. Mainz angesiedelte bundesweite Berater*innen-Pool Existenzgründung Hilfestellung leisten.

Es gibt auch positive Beispiele

Wie gut es klappen kann, zeigt der Fall von Rzajev aus Aserbaidschan. Rzajev meldete sich Mitte 2016 erstmals beim AAU e.V. (Teilprojekt XeneX im IQ Landesnetzwerk Bayern MigraNet), bereitete seinen Businessplan und die sonstigen Unterlagen akribisch vor und reiste sogar zu einem persönlichen Beratungsgespräch nach Nürnberg. Im Oktober 2017 gab er seinen Antrag als freiberuflicher Energieberater für Großprojekte bei der Botschaft in Baku ab und erhielt im Juni 2018 seinen Aufenthaltstitel nach § 21 Abs. 5.

Unterstützung auch nach der Existenzgründung notwendig

Zurzeit besucht er beim AAU e.V. den Kurs „Systemisches Wissen des Marktes Deutschland“, um seine neuen Projekte noch besser umsetzen zu können. Rzajev zieht eine positive Bilanz: „Für mich waren die Tipps zur Businessplanerstellung und die Beratung zu Fachfragen äußerst wertvoll. Ich denke, ohne diese Vorbereitung hätte ich in Deutschland nicht so schnell Erfolg gehabt. Dabei ging es weniger um Kundengewinnung und meine eigentliche Arbeit, das kann ich. Aber ohne die Hilfe auch nach der Gründung, zum Beispiel bei den Themen Buchführung, Rechnungswesen und Umsatzsteuer hätte sich der Erfolg nicht so schnell eingestellt.“

Über den Autor

Rainer Aliochin ist seit 1999 Chief Operating Officer des AAU e.V. und seit 2001 Projektleiter im Projekt XeneX-Existenzgründungsberatung, das seit 2005 auch ein IQ Teilprojekt im IQ Landesnetzwerk Bayern ist.

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