Weiterbildung: Integration durch Kommunikation

Eine maßgeschneiderte Weiterbildung des Integrations- und Qualifizierungszentrums für MINT-Berufe (IQ-Z MINT) an der Hochschule Kaiserslautern ebnet zugewanderten Ingenieurinnen und Ingenieuren den Weg für den Berufseinstieg in Deutschland.

In Venezuela ticken die Uhren anders als in Deutschland. Mal laufen sie schneller, mal langsamer. Vorstellungsgespräche zum Beispiel vergehen in seiner lateinamerikanischen Heimat wie im Flug, erinnert sich der Ingenieur Luis Jaspe Yanes. Dort wird kurz und knapp gefragt, was die Bewerber*innen gelernt haben und welche Fähigkeiten sie mitbringen. In 15 Minuten könne das Jobinterview vorbei sein, der Rest werde in der Probezeit getestet. In deutschen Unternehmen hingegen, hat er erfahren, können ein bis zwei Stunden vergehen, bis alle Fragen im Vorstellungsgespräch beantwortet sind.

Von der Produktionsingenieurin aus Brasilien bis zum Chemiker aus Syrien

Auch sein heutiger Arbeitgeber in der Eifel, der Unternehmer Herbert Zahnen, hat sich Zeit genommen, um den neuen Mitarbeiter kennenzulernen, der vor drei Jahren nach Deutschland kam. Der erste Kontakt entstand an der Hochschule Kaiserslautern. Beim Firmentag der Ingenieurwissenschaftlichen abschlussorientierten Qualifizierung (IAQ) traf der Geschäftsführer der Zahnen Technik GmbH den Ingenieur für Telekommunikation aus Venezuela – und mit ihm 14 weitere Ingenieur*innen ganz unterschiedlicher Fachrichtungen und Herkunftsländer, von der Produktionsingenieurin aus Brasilien, über den Chemiker aus Syrien bis zum Elektroingenieur aus Armenien.

Fachkräfte dringend gesucht

„Der IAQ-Firmentag an der Hochschule Kaiserslautern, Campus Zweibrücken, war eine sehr gute Brücke, um mit zugewanderten IT-Experten und anderen Fachkräften aus Naturwissenschaft und Technik ins Gespräch zu kommen“, sagt Herbert Zahnen. Wie viele andere Firmen in Deutschland sucht der innovative Mittelständler dringend qualifizierte Mitarbeitende aus diesen Bereichen für sein Unternehmen, das auf Wasser- und Abwasserbehandlungsanlagen spezialisiert ist und sich national wie international auf einem Wachstumskurs befindet.

Ein halbes Jahr Uni, ein halbes Jahr Praxis

Zahnen, der für seine zukunftsweisende Personalpolitik mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde, ist davon überzeugt, dass die Integration von Zugewanderten für die Firmen ein großer Gewinn sei. In der ingenieurwissenschaftlichen abschlussorientierten Qualifizierung hat er Ansprechpartner*innen gefunden, die ihn dabei unterstützen. Das seit 2016 im IQ Landesnetzwerk Rheinland-Pfalz laufende Projekt IAQ bildet jedes Jahr 15 zugewanderte Akademiker*innen mit einem Abschluss im naturwissenschaftlich-technischen Bereich weiter – in einer sechsmonatigen Hochschulphase, gefolgt von einer sechsmonatigen Praxisphase in der Wirtschaft.

Auch über deutsche Arbeitskultur wird diskutiert

„Wir tun sehr viel dafür, um unsere Teilnehmenden und Firmen frühzeitig miteinander zu vernetzen“, sagt Projektleiterin Silke Weber. Das gehört ebenso zum Konzept wie die individuelle Weiterbildung in den Laboren, Werkstätten und Vorlesungssälen der Hochschule, die ingenieurwissenschaftliche Projektarbeit, der berufsbezogene Sprachunterricht sowie das Arbeitsmarkt-Coaching. In jeder Phase der einjährigen Qualifizierung bringt die Hochschule ihre IAQ-Teilnehmenden mit regionalen Unternehmen zusammen: Die Studierenden fahren auf Messen und unternehmen Exkursionen in Betriebe. In den „Seminaren mit Firmen“ diskutieren sie mit Vertreterinnen und Vertretern regionaler Unternehmen über deutsche Arbeitskultur. In Schulungen bei Firmen lernen sie neue Techniken direkt vor Ort, zum Beispiel das Programmieren von Systemen zur Gebäudeautomation beim Smart-Home-Hersteller Comexio, einem weiteren Unternehmen im Netzwerk, das ebenso wie Zahnen Technik neue Wege in der Rekrutierung von Mitarbeitenden geht und Zugewanderte integriert.

Austausch mit der Wirtschaft

Der Firmentag der IAQ, einmal jährlich am Campus Zweibrücken, ist so etwas wie das Highlight im Austausch mit der Wirtschaft. Hier stellen sich die IAQ-Studierenden interessierten Unternehmen in kurzen „Elevator Pitches“ vor und präsentieren ihre fachlichen Kompetenzen auf Postern. Bei einem liebevoll gestalteten Büffet geben sie Einblick in kulinarische Genüsse ihrer Heimat und kommen auf diese Art ungezwungen mit potentiellen Arbeitergeber*innen ins Gespräch. Das Interesse der Wirtschaft an dieser Veranstaltung wächst von Jahr zu Jahr – auch wenn der ein oder andere Firmenchef zunächst etwas skeptisch nach Zweibrücken fährt, unsicher darüber, ob Sprach- oder Fachkenntnisse der Zugewanderten ausreichen. Am Ende des Firmentages sind jedoch alle begeistert davon, wie gut die Migrant*innen Deutsch sprechen und mit welch hoher Motivation sie an ihrem Berufseinstieg in Deutschland arbeiten.  „Wir sind superfroh mit den Absolventen“, berichtet auch Herbert Zahnen. Beim Firmentag 2017 hatte er nicht nur den Telekommunikationsingenieur Luis Jaspe Yanes kennengelernt, sondern auch den Software-Entwickler Usama Al Mousa aus Syrien. Beide absolvierten zunächst ihre sechsmonatige Praxisphase bei Zahnen Technik. Mittlerweile gehören sie mit unbefristeten Arbeitsverträgen zur Belegschaft des rund 100 Mitarbeitende zählenden Unternehmens in Arzfeld im Eifelkreis Bitburg-Prüm in Rheinland-Pfalz.

Auf unterschiedliche Voraussetzungen reagieren

Bedingt durch den unterschiedlichen fachlichen Hintergrund, verlief die berufliche Integration der beiden verschieden. Bei dem Software-Entwickler Usama Al Mousa vollzog sie sich schneller, denn er beherrscht Java, PHP,  Visual Basic und andere Programmiersprachen. Diese sind international und so konnte sich der Syrer direkt an die hochkomplexe Aufgabe machen, die Kundenplattform „ISO by Zahnen“ für den Wasserspezialisten mit zu entwickeln – ein Webportal, das es Ingenieur*innen weltweit ermöglicht, Wasser- und Abwasseranlagen effizienter zu planen. Luis Jaspe Yanes hingegen arbeitet im Unternehmen in der Planung von Schaltanlagen und musste eine ganz neue Fachsprache in seinem Bereich der Elektrotechnik lernen – mit Ausdrücken wie „Fehlerstromschutzschalter“ oder „Unterbrechungsfreie Stromversorgung“, wobei allein die Aussprache der Wörter nicht einfach für spanische Muttersprachler*innen ist. Jaspe Yanes sieht das jedoch als positive Herausforderung, denn er ist wissbegierig und lernt gerne Neues. Er ist dankbar, dass ihn das Unternehmen bei der Umstellung auf die neue Arbeitskultur unterstützt: „Ich  kann Fragen stellen, so viel ich möchte, und mich nach und nach in die Normen für eine vorschriftsmäßige Elektroinstallation in Deutschland einarbeiten, die in Venezuela ganz anders sind.“

Offener Geist

Auch sein syrischer Kollege Usama Al Mousa schätzt die lockere und freundliche Arbeitsatmosphäre in der Firma – eine Grundvoraussetzung für gelingende Integration, neben gegenseitigem Vertrauen und Toleranz. „Anders als in den eher hierarchisch organisierten Unternehmen in Syrien wird in Deutschland fachlich sehr viel mehr diskutiert, auf Augenhöhe, auch mit den Vorgesetzten“, sagt Al Mousa. Das kommt dem offenen und experimentierfreudigen Geist des IT-Experten entgegen, den er schon während der Phase der Qualifizierung gezeigt hat. „Herr Al Mousa findet kreative Lösungen für komplexe Probleme“, erinnert sich Silke Weber an den begabten Absolventen, der bis heute den Kontakt zur Hochschule hält.

Traumjob gefunden

Kontakte und Kommunikation sind, neben der fachlichen Qualifizierung, wichtige Erfolgskriterien von IAQ, weil so der Aufbau von vertrauensvollen Netzwerken mit der Wirtschaft vorangebracht wird. In intensivem Austausch sensibilisieren alle Projektbeteiligten die Firmen für die besondere Situation zugewanderter Fachkräfte, und sie beraten, wenn es um Unterschiede in den Arbeitskulturen oder rechtliche Rahmenbedingungen bei der Einstellung von Geflüchteten geht. Zudem recherchiert die Hochschule gezielt, welche fachlichen Kompetenzen die Unternehmen benötigen, um die Ingenieur*innen bedarfsgerecht weiterbilden zu können. Nur so gelingt ein erfolgreiches „Matching“, was die Chancen auf einen qualifikationsadäquaten Berufseinstieg entscheidend erhöht. Der Dialog mit der Wirtschaft beschleunigt die berufliche Integration der Zugewanderten – zum Vorteil für beide Seiten. „Wir schätzen die Arbeit der Hochschule, durch die wir hochmotivierte und qualifizierte Fachkräfte gewinnen“,  sagt Herbert Zahnen. Und Usama Al Mousa ist sich sicher: „Ich habe meinen Traumjob in Deutschland gefunden.“

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