Integrationskurse: So funktioniert Deutschland

BAMF-Mitarbeiter Jens Reimann erklärt, welche Inhalte in Integrationskurse aufgenommen werden und nach welchen Kriterien das geschieht.

Die Themenblöcke im Rahmencurriculum für Integrationskurse wirken wie ein Grundkurs „So funktioniert Deutschland“. Wie entscheidet das BAMF, was in die Kurse hineingehört?

Jens Reimann: Die erste Fassung des Rahmencurriculums für Integrationskurse wurde 2008 vom Goethe-Institut im Auftrag des Bundesministeriums des Innern erarbeitet. Inhaltliche Grundlage war eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München über die Sprachbedarfe von Teilnehmenden an Integrationskursen.

Nach welchen Kriterien wurden diese Sprachbedarfe ermittelt?

Reimann: Es geht um die Frage, in welchen Lebensbereichen Menschen mit Deutsch als Zweitsprache sprachlich handlungsfähig sein müssen. Dazu wurden sowohl Teilnehmende und Lehrkräfte als auch Kursträger und Vertreterinnen und Vertreter von Institutionen befragt. Herausgekommen sind dann die zwölf inhaltlichen Handlungsfelder des Rahmencurriculums wie Arbeit, Wohnen, Mobilität, Gesundheit und weitere Handlungsfelder, mit denen sich Zugewanderte ständig beschäftigen.

Wo ist der Abholpunkt für die Kursteilnehmenden? Welche Vorkenntnisse setzen die Integrationskurse voraus?

Reimann: Natürlich müssen Zugewanderte die formale Berechtigung zur Teilnahme an einem Integrationskurs haben. Es werden zunächst keine sprachlichen Vorkenntnisse vorausgesetzt, allerdings durchlaufen alle potenziell Teilnehmenden vor Beginn des Integrationskurses ein Einstufungsverfahren. Hier kann sich dann durchaus ergeben, dass sie schon Vorkenntnisse haben und dementsprechend gleich ein höheres Modul besuchen können. Im Einstufungsverfahren wird aber auch festgestellt, ob Teilnehmende vielleicht Alphabetisierungsbedarf haben oder einen sonstigen speziellen Integrationskurs besuchen sollten. Es gibt übrigens neben dem allgemeinen Integrationskurs insgesamt sieben spezielle Kursarten, sodass das Bundesamt allen Teilnehmenden ein passendes Angebot unterbreiten kann.

Die Integrationskurse gibt es jetzt seit 2005 und ihre Inhalte werden laufend überprüft und gegebenenfalls aktualisiert. Nach welchen Gesichtspunkten geschieht das?

Reimann: Es gibt viele Formate, mit denen die Integrationskurse überprüft werden. Da ist zunächst einmal die Bewertungskommission zu nennen, die beim Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat angesiedelt ist und zweimal im Jahr tagt. Hier treffen sich Vertreterinnen und Vertreter aus Bundes- und Landesministerien, den Kommunen, von Lehrbuchverlagen, der politischen Bildung, des Goethe-Instituts, der wichtigsten Kursträgerverbände, der Sprachwissenschaft sowie eine Lehrkraft. Sie bewerten die neuesten Entwicklungen bei den Integrationskursen und geben Empfehlungen für deren Weiterentwicklung.

Wie unterstützt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diesen Prozess?

Reimann: Das Bundesamt steht im ständigen Kontakt mit den großen Kursträgerverbänden, mit denen es regelmäßige gemeinsame Sitzungen veranstaltet. Mit unseren Regionalkoordinatorinnen und -koordinatoren in insgesamt 24 Regionalstellen sind wir auch in der Fläche gut vertreten. Und nicht zuletzt erhalten wir täglich Zuschriften und Fragen von einzelnen Kursträgern, Lehrkräften und Teilnehmenden, sodass wir schon ein klares und aktuelles Bild über die Entwicklungen vor Ort haben und schnell auf neue Bedarfe reagieren können.

Inwieweit hat die Zielgruppe selbst Einfluss auf die Gestaltung? Gehen die Kurse auf Wünsche ein, die von Zugewanderten geäußert werden?

Reimann: Neben anderen wichtigen Prinzipien der Erwachsenenbildung wie beispielsweise der Handlungsorientierung und dem Praxisbezug folgen die Kurse insbesondere auch dem Prinzip der Teilnehmendenorientierung. Das heißt, dass sie in die Planung des Kursgeschehens und in die Auswahl der Themen, Methoden und Medien einbezogen werden. Damit ist gesichert, dass die Bedürfnisse der Lernenden den Bildungsprozess bestimmen und dass die Inhalte sich an ihrer Lebenssituation orientieren. Natürlich müssen wir dabei immer auch die Lernziele und die Inhalte beachten, die vom Rahmencurriculum und von den Konzepten vorgegeben werden und die ja letztendlich auch zur Abschlussprüfung hinführen. Hier sind dann aber in erster Linie Kursträger und Lehrkräfte gefragt, das auszubalancieren.

2016 erging an das Goethe-Institut der Auftrag, das Rahmencurriculum hinsichtlich einer stärkeren Integration arbeitsweltlicher Themen zu überarbeiten: Was war der Hintergrund?

Reimann: Im Jahr 2015 kamen innerhalb weniger Monate mehrere hunderttausend Geflüchtete nach Deutschland. Dies war eine enorme Herausforderung zunächst für die Kommunen, aber auch für die Integrationsabteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Eines der Hauptanliegen von Politik und Gesellschaft war eine schnelle Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge war nun gefordert, dies sowohl von verwaltungstechnischer, aber auch von der konzeptionell-pädagogischen Seite her zu ermöglichen. Deswegen kamen im Jahr 2017 verstärkt arbeitsweltliche Themen in das Rahmencurriculum. Parallel dazu sind die bundesweiten Berufssprachkurse implementiert worden, und da ist es natürlich gut, wenn die Teilnehmenden sich auf diese schon im Integrationskurs vorbereiten können.

Sensibilisierung für das Zeitmanagement am Arbeitsplatz, Kenntnis von Arbeitsschutzmaßnahmen und Steuersystem – das sind Beispiele für Lernziele in den Integrationskursen: Weshalb sollten nach Deutschland Zugewanderte all das wissen?

Reimann: Die Bundesregierung möchte, dass Zugewanderte ihr Leben in Deutschland so erfolgreich wie möglich gestalten, und das berufliche Fortkommen ist dabei ein entscheidender Faktor. Daher müssen Zugewanderte die deutsche Sprache, aber auch die vielen unterschiedlichen Gepflogenheiten in Alltag und Beruf kennen. Für die von Ihnen angesprochenen Inhalte werden die Teilnehmenden in den Integrationskursen sensibilisiert und somit auch auf einen späteren Besuch eines Berufssprachkurses vorbereitet, in welchem sie diese Themen vertieft bearbeiten.

Welche besonderen Anforderungen an arbeitsmarktbezogenen Deutschunterricht gibt es? Welche Inhalte und Regeln gilt es hier zu vermitteln?

Reimann: Zunächst möchte ich betonen, dass der Integrationskurs ein Angebot zur allgemeinsprachlichen Vermittlung der deutschen Sprache ist, auch wenn im Rahmencurriculum die arbeitsplatzbezogenen Handlungsfelder einen höheren Stellenwert bekommen haben als zuvor. Ein rein arbeitsmarktbezogener Deutschunterricht, wie er in den Berufssprachkursen stattfindet, unterscheidet sich davon in einigen wesentlichen Punkten.

Nämlich?

Reimann: In der berufs- oder arbeitsmarktbezogenen Förderung der deutschen Sprache gilt es, so authentisch wie möglich sprachliche Kommunikationssituationen aus der Arbeitswelt für den Sprachunterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache nutzbar zu machen. In einem allgemein- berufsbezogenen Sprachkurs, wie zum Beispiel den Basiskursen mit dem Sprachniveauziel B2 oder C1, die an den Integrationskurs anschließen, sind im Kurskonzept daher diejenigen arbeitsweltlichen Inhalte festgeschrieben, die in fast jedem Berufsfeld auftreten. Diese sind beispielsweise „Arbeitssuche, Aus- und Fortbildung“, „Kommunizieren mit KollegInnen am Arbeitsplatz“, „Vorschläge machen“ oder „um Hilfe bitten“, „mit Konflikten im Arbeitsalltag angemessen umgehen“, „Informationen im arbeitsweltlichen Alltag austauschen“ oder das „Verstehen rechtlicher und sicherheitsrelevanter Inhalte vor oder während eines Arbeitsverhältnisses“.

Im beruflichen Alltag spielen auch arbeitskulturelle Faktoren eine Rolle...

Reimann: In der Tat – und dadurch wird das Unterrichten und Erlernen von berufsbezogenem Deutsch noch komplexer. Den Kursteilnehmenden muss neben den sprachlichen Inhalten häufig auch soziokulturelles und arbeitskulturelles Wissen vermittelt werden, was dann wiederum die Entwicklung von strategischen Kompetenzen zum selbstständigen Sprachhandeln am Arbeitsplatz in Deutschland begünstigt.

Angenommen Kursteilnehmer erreichen die Lernziele aus dem Themenfeld „Arbeit“: Wie gut sind sie dann auf das Arbeitsleben vorbereitet?

Reimann: Das Rahmencurriculum weist die Lernziele aus dem Themenfeld „Arbeit“ im Rahmencurriculum für die Sprachniveaustufen A1, A2 und B1 aus, wobei die Sprachkompetenzen auf B1 als ein erstes selbstständiges Sprachhandeln gezählt werden können. Die Fachwelt ist sich darüber einig, dass das Sprachniveau B1 in der Regel nicht ausreicht für die Aufnahme einer Ausbildung oder einer qualifizierten Beschäftigung. Obwohl die sprachlichen Kompetenzen unter anderem in den drei Handlungsfeldern „Arbeit“, „Arbeitssuche“ und „Aus- und Weiterbildung“ entwickelt werden, ist es daher nicht das Ziel und auch nicht der Anspruch des Integrationskurses, direkt auf das Arbeitsleben vorzubereiten. Aber die Behandlung dieser drei Themenfelder ist natürlich eine sehr gute Vorbereitung auf den B2-Basiskurs im Rahmen der Berufssprachkurse.

Unlängst machte die Nachricht die Runde, dass knapp die Hälfte der Teilnehmenden an den Integrationskursen das Sprachniveau B1 nicht erreicht. Woran liegt das, und wie will das Bundesamt hier gegensteuern?

Reimann: In der Tat haben im Jahr 2018 weniger Teilnehmende das Sprachniveau B1 erreicht als noch 2015. Die Ursache dafür liegt nach Übereinstimmung aller Fachleute insbesondere in der veränderten Zielgruppe: So kamen im Jahr 2014 noch knapp die Hälfte der neuen Teilnehmenden aus Staaten der EU, während der Anteil der Personen mit Fluchthintergrund unter den neuen Teilnehmenden in den Jahren 2016 und 2017 zeitweise über 70 Prozent betrug. Zu bedenken ist dabei, dass sich der Anteil der zu Alphabetisierenden in den Integrationskursen in den letzten Jahren deutlich erhöht hat – und für diese Zielgruppe ist bereits das Erreichen des Sprachniveaus A2 ein großer Erfolg.

Wie hat das Bundesamt auf diese Entwicklung reagiert?

Reimann: Das Bundesamt hat früh auf diese veränderte Teilnehmendenstruktur und deren Bedarfe reagiert und hat im Jahr 2017 beispielsweise im Rahmencurriculum die arbeitsmarktbezogenen Komponenten gestärkt und neue landeskundliche Ziele formuliert, der Orientierungskurs wurde von 60 auf 100 Unterrichtseinheiten aufgestockt. Ebenfalls 2017 startete eine neue Kursart für Zweitschriftlernende, die gerade erst um zusätzliche 300 Unterrichtseinheiten aufgestockt wurde. Bereits 2016 konnten Kursleitende individuell gefördert an einer Fortbildung zur Arbeit mit traumatisierten Geflüchteten teilnehmen. In Kürze führt das Bundesamt die eigene Zusatzqualifizierung „Lernschwierigkeiten im Unterricht mit dem Schwerpunkt Trauma“ ein. Darüber hinaus wird in Kürze ein Projekt zur Lern- und Sozialbegleitung direkt bei den Kursträgern aufgelegt, um die Teilnehmenden in ihrem Lernprozess, aber auch bei persönlichen Problemen zu unterstützen und die Lehrkraft von diesen Fragen zu entlasten. Und schließlich denkt das Bundesamt gegenwärtig darüber nach, wie der Lernfortschritt von Teilnehmenden künftig früher als bisher gemessen werden kann und welche Maßnahmen bei abweichenden Lernverläufen getroffen werden können.

Über den Interview-Partner

Jens Reimann arbeitet seit 2006 im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und ist dort als Referent im Referat „Fragen der sprachlichen und politischen Bildung“ tätig.

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