Arbeitsgeschichte: Zur rastlosen Arbeit getrieben

Der moderne Mensch ist geprägt durch seine berufliche Arbeit. Das war nicht immer so.

Berufsarbeit bestimmt nicht nur die soziale Zugehörigkeit des Einzelnen, sie entscheidet auch über seine materiellen Chancen und prägt seine Selbstwahrnehmung innerhalb der Gesellschaft. Neben dem familiären Bereich stellt der Bereich der Berufsarbeit den wichtigsten Bereich sozialer Identifikation des modernen Menschen dar. Erfolgreiche Berufsarbeit gilt zugleich als Ausweis bürgerlicher Tugenden und legitimiert sozialen Aufstieg. Nichts scheint mehr über die Befähigung eines Menschen auszusagen als sein beruflicher Erfolg; nichts weckt mehr Vertrauen in einen Menschen als seine verantwortliche Stellung im Beruf; nichts verweist mehr auf einen verlässlichen Charakter als eine berufliche Karriere.

Arbeitslosigkeit gilt als persönliches Versagen

Damit wird das Fehlen einer geregelten Berufsarbeit zum sozialen Stigma in der modernen Arbeitsgesellschaft. Arbeitslosigkeit gilt als Zeichen persönlichen Versagens und weckt den Verdacht mangelnder Leistungsbereitschaft oder mangelnder Befähigung. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ wird zum vielbeschworenen Grundsatz einer Gesellschaft, die sich über erfolgreiche Berufsarbeit definiert und in der derjenige, der den Anforderungen dieser Erwerbsgesellschaft nicht gewachsen ist, zunehmend in den Verdacht gerät, sein Leben auf Kosten der anderen führen zu wollen. Somit ist es nicht die Furcht vor existenzieller Not, die den Einzelnen zu „rastloser Berufsarbeit“ antreibt, sondern die Furcht vor dem Verlust der sozialen Zugehörigkeit.

In der Antike wurde Arbeit als notwendiges Übel betrachtet

Ein Blick auf die Sozialgeschichte menschlicher Arbeit zeigt jedoch, dass sich unser heutiges Arbeitsverständnis durchaus vom Arbeitsverständnis früherer Epochen unterscheidet. So lässt sich zeigen, dass die Vorstellungen früherer Zeiten von der sozialen Bedeutung von Arbeit durchaus von den Vorstellungen abweichen, die uns heute geläufig sind. In der antiken Gesellschaft wird Arbeit primär als ein notwendiges Übel gesehen, das dazu dient, die Lebensgrundlage des Haushalts zu sichern und auf dieser Basis die Teilhabe des Bürgers am sozialen und politischen Leben der Gemeinschaft zu ermöglichen. Dabei ist die antike Gesellschaft weit davon entfernt, beruflichen Erfolg oder Erwerbseinkommen als Mittel des sozialen Aufstiegs zu begreifen. Vielmehr sind es sozialer Stand und Herkommen, die das angemessene Betätigungsfeld des Einzelnen bestimmen. So entwickelt die antike Gesellschaft eine klare Vorstellung bezüglich der Hierarchie moralisch angesehener und moralisch minderwertiger Berufe. Wer sich einem seinem Stand nicht angemessenen Berufsfeld zuwendet, gerät in den Verdacht, selbst einen moralisch minderwertigen Charakter zu besitzen.

Ist Arbeit nur was für Banausen?

Erwerbsarbeit gilt als „banausische Tätigkeit“ und als eines freien Mannes unwürdig, da sie dazu zwingt, den Befehlen anderer zu gehorchen und sich den Wünschen des Auftraggebers oder Dienstherren unterzuordnen. Trotz der sicherlich großen praktischen Bedeutung handwerklicher Betätigung für die Wirtschaft der Antike, wurde diese Sichtweise doch von der überwiegenden Mehrheit der Bürger geteilt. Und obwohl sich die römische Antike hinsichtlich Verwaltung, Wirtschaftsorganisation, Handel und Militärwesen von der griechischen Antike deutlich unterscheidet, bleibt dieses Ideal bis in die römische Spätantike für die Bewertung menschlicher Arbeit bestimmend.

Arbeit als göttliche Strafe

Mit der Erstarkung des Christentums zum Ende der römischen Kaiserzeit kommt es auch zu einer grundsätzlichen Neubewertung der sozialen Funktion menschlicher Arbeit. In der jüdisch-christlichen Tradition gilt Arbeit als göttliche Strafe, sie ist die kollektive Sühneleistung des Menschengeschlechts für den Sündenfall. Da hiervon alle Menschen – zumindest theoretisch – gleichermaßen betroffen sind, führt dies zu einer gewissen Entstigmatisierung menschlicher Arbeit. Auch wenn die Mühsal der Arbeit innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft durchaus nicht gleichverteilt ist, verliert der Arbeiter doch den Status moralischer Minderwertigkeit. Innerhalb der mittelalterlichen Ständegesellschaft, so die Auffassung der Theologen, habe jeder die seinem Amt entsprechenden Pflichten zu erfüllen und seinen gottgefälligen Dienst zu verrichten, ohne den ein gemeinschaftliches Zusammenleben nicht möglich wäre. Gottesdienst, Kriegsdienst und Frondienst sind die Leistungen, die jeder, seinem Stand entsprechend, für die Gemeinschaft zu erbringen hat.

Bete und arbeite!

Vorbild dieses neuen Arbeitsethos ist das „ora et labora“ der klösterlichen Gemeinschaft. Arbeit wird hier zum Sinnbild für die Nachfolge Christi. Sie ist Mittel zum Erwerb des eigenen Lebensunterhalts und wird zugleich als Bußübung verstanden, die dazu beiträgt, den Müßiggang zu vertreiben und „die Fleischeslust“ zu zügeln. Für den Mönch wird „acedia“, die Trägheit, zum „Feind der Seele“. Sie wird von der Kirche zur Todsünde erklärt. Allerdings gelingt es den mittelalterlichen Theologen nicht zur Gänze, sich von der antiken Sichtweise von Arbeit zu lösen. So genießt in der mittelalterlichen Sicht der Arbeit die „vita contemplativa“, das besinnliche Leben der Meditation, durchaus ein höheres Ansehen als die „vita activa“, das tätige Leben der Handwerker und Bauern.

Prestigegewinn durch wirtschaftlichen Erfolg

Mit zunehmender Stadtentwicklung ab dem 11. Jahrhundert beginnt sich die soziale Realität jedoch zunehmend von der idealisierten theologischen Gesellschaftsinterpretation einer nach Gottes Willen geordneten Ständegesellschaft zu entfernen. In den Städten sind es vor allem die Handwerker und Kaufleute, die eine neue Sicht auf Berufsarbeit und auf wirtschaftlichen Erfolg als Leistungsausweis ihrer Tätigkeit entwickeln. Der Stadtbürger definiert seine soziale Stellung in der Stadt durch seinen Beruf und gewinnt sein Prestige durch seinen wirtschaftlichen Erfolg. Damit beginnt sich eine bürgerliche Sicht auf Arbeit durchzusetzen, die in der erfolgreichen Berufsarbeit die Quelle des individuellen wie des nationalen Wohlstandes sieht. So ist es nun nicht mehr der Dienst an der Gemeinschaft, sondern der durch sie erwirtschaftete Wohlstand, der Arbeit als soziale Funktion legitimiert.

Arbeit als Quelle des nationalen Wohlstands

Mit der Aufklärung schließlich wird die theologische Vorstellung menschlicher Arbeit als Dienst an der Gemeinschaft endgültig in Frage gestellt. Vor allem sind es die englischen und französischen Philosophen des 18. Jahrhunderts, die eine grundsätzlich neue Sicht auf Arbeit entwickeln und damit den Weg zu unserem heutigen Arbeitsverständnis ebnen. Arbeit wird nun nicht nur zur Grundlage legitimen Eigentumserwerbs erklärt, sondern auch als Ursprung aller menschlichen Zivilisation und als wichtigste Quelle des nationalen Wohlstands gesehen. Mithin gelte es, den Menschen zur Arbeit zu erziehen und ihn an Fleiß, Pünktlichkeit, Sauberkeit und Sparsamkeit zu gewöhnen.

Armut wird zum Ausdruck mangelnder Arbeitswilligkeit

Armut ist in dieser neuen Gesellschaft nicht mehr Ausdruck eines gottgewollten Schicksals, das es durch milde Gaben und Almosen zu mildern gilt. Vielmehr wird Armut nun als Ausdruck mangelnder Arbeitswilligkeit gesehen. Der Arbeitslose trägt selbst die Schuld an seiner Armut, da er nicht arbeitet. Nur wer arbeitet erweist sich als nützliches Mitglied der Gemeinschaft und darf mit Anerkennung und Bewunderung rechnen. Das sprichwörtliche „Glück des Tüchtigen“ wird zum Glaubensbekenntnis in einer Welt, die soziales Prestige fortan an den individuellen Leistungswillen bindet und sozialen Aufstieg mit beruflichem Erfolg verknüpft. Damit schafft die Aufklärung die Grundlage des modernen Arbeitsethos, das bis heute für unsere Sicht auf Arbeit bestimmend ist.

Über den Autor

Prof. Dr. Michael S. Aßländer studierte Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Philosophie, Psychologie, Soziologie und Russische Sprache an den Universitäten Bamberg, Wien, Bochum und Moskau. Seit 2010 arbeitet er als außerordentlicher Professor für Sozialwissenschaften, insbesondere Wirtschafts- und Unternehmensethik, am Internationalen Hochschulinstitut Zittau der Technischen Universität Dresden.

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