Weiterbildung: Wer macht wo mit?
Prof. Dr. Halit Öztürk über Zugang und Beteiligung von Erwachsenen mit Migrationshintergrund und an beruflicher Weiterbildung
Die weiterhin zunehmende Bedeutung von Weiterbildung für den Einzelnen, die Wirtschaft und die Gesellschaft ist auch im politischen Bildungsziel des lebenslangen Lernens für die moderne Wissensgesellschaft festgehalten. Trotzdem profitieren nach wie vor nicht alle Erwachsenen gleichermaßen von den vielfältigen Bildungsangeboten der verschiedenen Weiterbildungssegmente in Deutschland – so auch ein Teil der Personen, die selbst oder deren Eltern nach Deutschland zugewandert sind. Die Ergebnisse der erweiterten Erhebung des Adult Education Survey (AES-Migra 2016) zum Weiterbildungsverhalten von Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland zeigen, dass Erwachsene mit Migrationshintergrund mit 42 Prozent insgesamt weiterhin seltener an Weiterbildung teilnehmen, als Erwachsene ohne Migrationshintergrund (50 %).
Kaum Unterschied zwischen zweiter Generation und Bio-Deutschen
Der Migrationshintergrund kennzeichnet dabei jedoch keine homogene Gruppe. So sind die Unterschiede insbesondere auf die mit 41 Prozent geringere Weiterbildungsbeteiligung der ersten Generation, d. h. der im Ausland geborenen und selbst nach Deutschland zugewanderten Personen, zurückzuführen. Die Beteiligungsquote der zweiten Generation, d. h. selbst in Deutschland geboren, aber mindestens ein Elternteil im Ausland geboren, entspricht mit 49 Prozent nämlich nahezu der Quote der Personen ohne Migrationshintergrund (50 %).
Wenig berufliche Weiterbildung bei Zugewanderten der ersten Generation
Zudem muss zwischen den Weiterbildungssegmenten unterschieden werden. Ausschlaggebend für die geringere Weiterbildungsbeteiligung der ersten Generation ist der Bereich der betrieblichen Weiterbildung: Während Erwachsene der zweiten Generation mit 34 Prozent beinahe ebenso häufig daran teilnehmen wie Erwachsene ohne Migrationshintergrund (37 %), liegt die erste Generation mit nur 23 Prozent deutlich zurück. Demgegenüber beteiligen sich Erwachsene mit Migrationshintergrund, erneut vor allem die erste Generation, etwas häufiger an individueller berufsbezogener Weiterbildung (10 %), als Erwachsene ohne Migrationshintergrund (6 %).
Barrieren beruflicher Weiterbildungsmaßnahmen
Als individuelle Teilnahmebarrieren werden von Personen mit und ohne Migrationshintergrund insbesondere ein Mangel an Zeit und familiäre Verpflichtungen genannt. Die Barrieren zu hoher Weiterbildungskosten, fehlender Deutschkenntnisse, fehlender Teilnahmevoraussetzungen und einer fehlenden Weiterbildungsberatung werden hingegen verstärkt von der ersten Generation der Personen mit Migrationshintergrund benannt. Erneut zeigen sich Unterschiede auch in den Weiterbildungssegmenten: Für den Zugang zur betrieblichen Weiterbildung ist die jeweilige Erwerbssituation maßgeblich. Da Personen mit Migrationshintergrund der ersten Generation häufiger arbeitslos sind oder zur Gruppe der sonstigen Nichterwerbspersonen zählen, haben sie geringere Zugangsmöglichkeiten zur betrieblichen Weiterbildung.
Höheres Bildungsniveau führt zu höherer Weiterbildungsbeteiligung
An individuell berufsbezogener Weiterbildung nehmen insbesondere Personen der ersten Generation mit ausländischer Staatsbürgerschaft und befristetem Aufenthaltsstatus deutlich öfter teil als jene mit deutscher Staatsbürgerschaft, was mit ihrer häufigeren Teilnahme an Deutsch- und Integrationskursen zusammenhängen kann. Schließlich konnte der AES-Migra 2016 zeigen, dass migrationsunabhängig mit zunehmendem Bildungsniveau auch die Weiterbildungsbeteiligung steigt. Bei Personen mit Migrationshintergrund geht jedoch ein höheres Bildungsniveau seltener mit stärkerer Weiterbildungsbeteiligung einher als bei Personen ohne Migrationshintergrund, was teilweise auf die Nichtanerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse in Deutschland zurückzuführen ist.
Fazit: Forschung sollte Abbau von Weiterbildungsbarrieren stärker in den Blick nehmen.
Die Ergebnisse machen insgesamt deutlich, dass die geringere Teilnahme von Personen mit Migrationshintergrund an beruflicher Weiterbildung insbesondere auf das Segment betrieblicher Weiterbildung zurückgeführt werden kann, an dem wiederum besonders Personen der ersten Generation vermindert teilnehmen. Weitere Einflussfaktoren wie Staatsangehörigkeit, Aufenthaltsstatus und Erwerbssituation weisen darauf hin, dass Empfehlungen zum Abbau von Weiterbildungsbarrieren differenziert und auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen müssen. Aufgabe der Weiterbildungsforschung ist es hier, sowohl das empirisch verfügbare Wissen über Weiterbildungszugänge von Erwachsenen mit Migrationshintergrund differenzierend zu erweitern, als auch diversitätsorientierte Strategien zum Abbau von Weiterbildungsbarrieren zur Organisations-, Personal- und Angebotsentwicklung stärker in den Blick zu nehmen. Auf diese Weise können nicht nur die bestehenden Herausforderungen differenziert diskutiert, sondern auch die bereits zu verzeichnenden Erfolge aller Beteiligten (an)erkannt werden.
Über den Autor
Prof. Dr. Halit Öztürk arbeitet an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaften am Institut für Erziehungswissenschaft.