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Gastarbeiter*in


Erstellt: 11.10.2018  |  Zuletzt geändert: 20.04.2020, 11:16 Uhr

In der DDR wurden Personen, die vorübergehend zum Zwecke der Arbeitsaufnahme eingereist waren, als Vertragsarbeitnehmer*innen bezeichnet. Diese kamen ausschließlich aus anderen sozialistischen bzw. kommunistischen Ländern wie Vietnam, Polen, Mosambik, Ungarn, der Sowjetunion und aus Kuba. 

Heute findet der Begriff der Gastarbeiter*in bzw. des Gastarbeiters zwar umgangssprachlich immer noch Verwendung, fachlich und politisch ist aber eher von ausländischen Arbeitnehmer*innen oder von Arbeitsmigrant*innen die Rede.

In der Geschichte der Bundesrepublik werden insbesondere die Jahre 1955 bis 1973 als die Jahre der sogenannten Gastarbeiterpolitik verstanden. 1955 wurde das erste Anwerbeabkommen der Bundesrepublik mit Italien geschlossen. Hiervon sollten die Bundesrepublik durch mehr Arbeitskräfte in Bergbau, Schwer- und Metallindustrie, das Land Italien durch weniger Erwerbslose und die italienischen Arbeiter*innen durch Erwerbsarbeit und berufliche Qualifizierung profitieren (siehe Brain Drain, Brain Gain, Brain Circulation, Triple WinBrain Waste). Später folgten ähnliche Anwerbeabkommen mit mehreren Mittelmeeranrainerstaaten: mit Spanien und Griechenland im Jahre 1960, mit der Türkei im Jahre 1961, 1963 mit Marokko, 1964 mit Portugal und 1965 mit Tunesien. Die letzte zwischenstaatliche Vereinbarung dieser Art wurde 1968 mit dem damals noch existierenden Jugoslawien geschlossen. Darüber hinaus gab es ab 1963 ein Anwerbeabkommen mit Südkorea, das zunächst Männer als Bergarbeiter, später aber überwiegend Frauen als Pflegekräfte im Gesundheitswesen betraf. 

Nach dem Abflauen der dynamischen Wirtschaftsentwicklung gegen Ende der 1960er-Jahre waren von Seiten der Bundesrepublik keine weiteren Abkommen mehr erwünscht. Die durch die weltweite Ölkrise ausgelösten ökonomischen Verwerfungen führten 1973 in der Bundesrepublik zum Anwerbestopp. Das hieß zwar, dass keine neuen Arbeitskräfte aus den Vertragsländern angeworben wurden, doch bedeutete das nicht automatisch auch die Rückkehr der bis dahin gekommenen Menschen. Zwar kehrten viele von ihnen in ihr Heimatland zurück, doch holte ein großer Teil der sogenannten Gastarbeiter*innen EhePartner*innen und Familien nach.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde im Bereich der Politik deutlich, dass der Begriff 'Gastarbeiterin/Gastarbeiter' insofern irreführend war, als es längst nicht für alle Betroffenen nur um einen vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland ging. Wegen dieser Fehleinschätzung hatten weder der deutsche Staat noch viele der angeworbenen Arbeitnehmer*innen ein Interesse daran gehabt, dass die deutsche Sprache sowie Grundkenntnisse des Rechts, der Kultur und der Geschichte Deutschlands erworben bzw. systematisch vermittelt wurden. Ernsthafte Konsequenzen aus diesem Versäumnis folgten erst gut drei Jahrzehnte später mit der Einführung der Integrationskurse im Zuwanderungsgesetz von 2005. Der mit dem Begriff 'Gastarbeiterin/Gastarbeiter' verknüpfte integrationspolitische Irrtum wurde von dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch in seinem berühmt gewordenen Satz "Man hat Arbeitskräfte gerufen, Menschen sind gekommen." auf den Punkt gebracht. 

In der gesellschaftswissenschaftlichen Fachwelt wie in der Literatur über und von Migrant*innen kommt dem Begriff aber nach wie vor eine zentrale Bedeutung für die historische Beschreibung und die künftige Weiterentwicklung von Migrations- und Integrationspolitik zu, weil er wesentlich mit dazu beigetragen hat, faktisch Eingewanderte weiterhin als nicht wirklich zugehörig zu markieren. Die Verwendung des Begriffs 'Gastarbeiterin/Gastarbeiter' habe – so die Kritik - vielmehr erheblich dazu beigetragen, dass die Einwanderungswirklichkeit in Deutschland lange Zeit ausgeblendet oder verleugnet wurde.

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