Doppelte Staatsangehörigkeit/Mehrstaatigkeit
Deshalb vermeidet das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht, geregelt im Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), im Grundsatz eine doppelte Staatsangehörigkeit.
So ist zum Beispiel bei der häufigsten Form der Einbürgerung, der sogenannten Anspruchseinbürgerung nach achtjährigem rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland, eine Aufgabe bzw. der Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit gesetzlich vorgeschrieben (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 StAG). Auch Personen, die mit Geburt in Deutschland nach dem "Geburtsortprinzip" die deutsche Staatsangehörigkeit zusätzlich zur Staatsangehörigkeit ihrer Eltern haben, sogenannte Ius-soli-Deutsche (siehe Staatsangehörigkeit), die aber im Ausland aufwachsen, müssen sich mit Vollendung des 21. Lebensjahres für eine Staatsangehörigkeit entscheiden (sog. Optionspflicht, § 4 Abs.1 StAG).
Doch gibt es verschiedene Ausnahmen, die Doppel- oder Mehrstaatigkeit möglich machen.
- Behalten können ihre bisherige Staatsangehörigkeit bei einer Einbürgerung zum Beispiel Bürger*innen eines EU-Staates (siehe Unionsbürger*in) und der Schweiz.
- Ius-soli-Deutsche, die in Deutschland aufgewachsen sind. Das heißt, sie müssen sich bis zum 21. Lebensjahr acht Jahre gewöhnlich im Inland aufgehalten haben, sechs Jahre in Deutschland eine Schule besucht haben oder über einen Schulabschluss oder eine abgeschlossene Berufsausbildung in Deutschland verfügen (§ 29 Abs. 1a StAG). Als in Deutschland aufgewachsen gilt im Einzelfall auch, wer einen engen Bezug zu Deutschland hat und für den die Optionspflicht eine besondere Härte bedeuten würde.
- Migrant*innen, die ihre bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben können. Weil zum Beispiel das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit nicht vorsieht, der Staat die Entlassung verweigert oder sie von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht. Staaten wie Afghanistan, Algerien, Eritrea, Iran, Marokko, Nigeria, Syrien und viele lateinamerikanische Staaten nehmen keine Entlassungen vor. (Stand: 2018)
- Migrant*innen für den Fall, dass die Versagung der Einbürgerung eine besondere Härte darstellen würde oder denen durch die Aufgabe der ausländischen Staatsangehörigkeit erhebliche zum Beispiel wirtschaftliche oder vermögensrechtliche Nachteile entstehen würden.
- Asylberechtigte und anerkannte Geflüchtete. Bei ihnen wird darauf verzichtet, die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit zu verlangen. Durch die umfangreiche Zuwanderung von Schutzsuchenden nach Deutschland in den vergangenen Jahren wird es so zu einem weiteren Anstieg dieser Zahl kommen.
Zusätzlich entsteht doppelte Staatsangehörigkeit de facto auch auf anderen Wegen:
- Die Doppelte Staatsangehörigkeit haben auch in Deutschland geborene Kinder mit einem deutschen und einem ausländischen Elternteil in aller Regel über das Abstammungsprinzip (ius sanguinis), sofern das Recht des anderen Staates dies vorsieht (zum Beispiel Weitergabe der Staatsangehörigkeit auch bei Auslandsgeburten, kein Verbot der Mehrstaatigkeit). Für sie bestand und besteht keine Optionspflicht.
- Auch Kinder mit mindestens einem deutschen Elternteil, die im Ausland geboren werden, in dem das Geburtsortprinzip (ius soli) gilt, haben die doppelte Staatsbürgerschaft. Bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zum 1. Januar 2000 wurde jedoch ein sogenannter "Generationenschnitt" eingeführt, der die unbegrenzte Weitergabe der deutschen Staatsangehörigkeit bei Auslandsgeburten unterbindet.
- Auch können Deutsche ohne Migrationshintergrund, die längere Zeit im Ausland leben, durch Annahme einer weiteren Staatsangehörigkeit zu Doppelstaatern werden. In Regel müssen sie vor dem Einbürgerungsantrag in dem Staat eine Genehmigung auf Beibehaltung des deutschen Passes in Deutschland beantragen (§ 25 Abs. 2 StAG).
Die Zahl der Mehrstaater in Deutschland wird auf mindestens zwei Millionen geschätzt. Trotz des nach wie vor geltenden Prinzips der Vermeidung von Mehrstaatigkeit kann regelmäßig mehr als die Hälfte der Eingebürgerten ihre frühere Staatsangehörigkeit beibehalten. Im Jahr 2017 waren es laut Einbürgerungsstatistik 61,4 Prozent, entgegen der öffentlichen Wahrnehmung aber unterdurchschnittlich viele Türkinnen und Türken (17 Prozent).
Das Pro und Contra der Mehrstaatigkeit wird seit vielen Jahren und in vielen Ländern diskutiert. Der jahrelange Streit um die Ermöglichung der doppelten Staatsangehörigkeit in Deutschland führte mit Bildung der Großen Koalition (SPD/CDU-CSU) im Dezember 2013 mit Aufhebung der Optionspflicht für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern zu einer Kompromisslösung im Jahr 2014. Aber die geltende Neuregelung bleibt umstritten, der Wunsch nach Rückkehr zur alten Rechtslage wird immer wieder laut.
Kritiker*innen begründen ihre Bedenken u. a. damit, dass die doppelte Staatsangehörigkeit die Integration verhindere, weil Zugewanderte und ihre Kinder sich nicht wirklich auf das Aufnahmeland und dessen Kultur und Werte einließen. Einzig die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit sei ein vorbehaltloses Bekenntnis zu Deutschland und nur so könnten Loyalitätskonflikte vermieden werden. Auch warnen sie vor unnötigen Konflikten zwischen den Staaten zum Beispiel in den Bereichen Militärdienst, Einberufung oder Besteuerung. Auch befördere Doppelstaatigkeit unnötige grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten und eröffne vielfältige Möglichkeiten der Instrumentalisierung von Mehrstaater*innen (zum Beispiel Einflussnahme auf ihr Wahlverhalten).
Die Befürworter*innen betonen, die doppelte Staatsangehörigkeit als rechtlicher Ausdruck der Anerkennung von Bindungen an zwei Staaten sei integrationsfördernd, gebe den Betroffenen Rechtssicherheit, stärke ihr Heimatgefühl und sei ein probates Mittel, notwendige Einwanderung zu steigern (siehe Demografischer Wandel, Fachkräftemangel). Überdies gebe es keine empirischen Belege dafür, dass die Beibehaltung einer anderen Staatsangehörigkeit eine einmal erfolgte Integration untergrabe oder Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit sich weniger mit dem Land identifizierten, in dem sie leben. Die Verweigerung der doppelten Staatsbürgerschaft sei keine Garantie für Loyalität gegenüber dem deutschen Staat.
Für viele Ausländer*innen selbst ist die Notwendigkeit, die Staatsangehörigkeit ihres Herkunftslandes im Fall einer Einbürgerung aufgeben zu müssen, ein Grund, sich nicht einbürgern zu lassen. Familiäre Bindungen sprechen dagegen, sie wollen sich wichtige Mobilitätsrechte bewahren, fürchten unnötige oder teure Visa- und Reisebeschränkungen. Auch ist die Aufgabe der Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes oft mit hohen Gebühren oder sogar dem Verlust von Erb- und Eigentumsrechten verbunden.
In vielen Ländern ist Doppelstaatigkeit inzwischen längst Fakt. Ihre Staatsangehörigkeitsgesetze haben den Grundsatz des ius-soli eingeführt, viele dulden de jure oder de facto Mehrstaatigkeit. Internationale Bestrebungen sind darauf ausgerichtet, die Nachteile der Mehrstaatigkeit zu verringern (zum Beispiel durch gegenseitige Anrechnung des im anderen Staat geleisteten Wehrdiensts).
Die Abschaffung der Bedingung, die vorherige Staatsangehörigkeit abzugeben, führte in den meisten EU-Staaten nachweislich zu einem Anstieg der Einbürgerungsraten. Sie betrachten die Akzeptanz von Mehrstaatigkeit u.a. als Maßnahme, um die Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Landes zu erhalten, es international gut anzubinden und positive Signale an neu Zugewanderte und an Zuwanderung Interessierte zu setzen.
Mit seinem Staatsangehörigkeitsgesetz vom 28. Oktober 2008 hat zum Beispiel Luxemburg das Staatsangehörigkeitsrecht geändert, um die Integration von Ausländer*innen zu festigen, die entschlossen sind, sich endgültig dort niederzulassen. Die Tatsache, dass eine Antragsteller*in mehrere Staatsangehörigkeiten erwirbt, wird hier zum einen als Zeichen der Verbundenheit mit Luxemburg und der Bereitschaft zur Integration betrachtet, zum anderen als (positives) Zeichen der Bindung zum Herkunftsland und zur Ursprungskultur.