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Diskriminierung/Benachteiligung


Erstellt: 12.10.2018  |  Zuletzt geändert: 10.03.2020, 12:38 Uhr

Das deutsche Grundgesetz (GG) formuliert in Satz 3 des dritten Artikels ein umfassendes Diskriminierungsverbot: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Diese Passage zeigt exemplarisch, dass der Gesetzgeber einerseits ein Problembewusstsein für Diskriminierung entwickelt hat, andererseits aber weiterhin an wissenschaftlich vollständig diskreditierten Begriffen wie "Rasse" festhält. 

Da das Grundgesetz lediglich die Rechte der Bürger*innen gegenüber dem Staat klärt, nicht aber die Rechte und Pflichten zwischen den Bürger*innen, hat der Gesetzgeber im August 2006 zusätzlich das "Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz" (AGG) verabschiedet, das sogenannte "Antidiskriminierungsgesetz". Mit diesem Gesetz wurden die auf europäischer Ebene vereinbarten Vorgaben zum Umgang mit Rassismus und zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit umgesetzt.

Ziel des AGG im Sinne des Gleichbehandlungsgebotes des Grundgesetzes - aber mit erweiterten Merkmalsfestlegungen - ist es, Benachteiligungen aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Es formuliert allgemeine Standards, die für den Umgang mit allen von Benachteiligungen oder Diskriminierung potenziell betroffenen Zielgruppen gelten, insbesondere in den Bereichen Beschäftigung und Qualifizierung. 

Das AGG unterscheidet fünf Formen der Benachteiligung oder Diskriminierung: unmittelbare Benachteiligung, mittelbare Benachteiligung, Belästigung, sexuelle Belästigung und Anweisung zur Belästigung. Im Zentrum des Gesetzes stehen die 13 Paragrafen des Abschnitts 2 "Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung". In diesem Abschnitt werden alle Organisationspflichten des Arbeitgebers (§§ 11,12 AGG: zum Beispiel diskriminierungsfreie Ausschreibungen, Schutzmaßnahmen vor Benachteiligung) und die Rechte der Beschäftigten (§§ 13-16 AGG: zum Beispiel Beschwerderecht und Leistungsverweigerungsrecht) formuliert. Zudem enthält er eine Unterscheidung zwischen unzulässigen und zulässigen Ungleichbehandlungen in der Arbeitswelt (§§ 8 - 10 AGG). Unzulässig sind grundsätzlich Benachteiligungen aufgrund der o. a. Personenmerkmale. Zulässig sind hingegen unterschiedliche Behandlungsweisen, sofern sie nicht primär in Personenmerkmalen wie Geschlecht, Abstammung, "Rasse", Sprache, Heimat, Herkunft, Glauben, religiöser oder politischer Anschauung begründet sind. 

Zulässig im Sinne des Gesetzes sind z.B. "unterschiedliche" Behandlungen, wenn sich die Exklusion plausibel aus den Anforderungen zum Beispiel an die berufliche Tätigkeit ableiten lässt: Eine Nichtmuttersprachlerin*innen muss beispielsweise im Fall lückenhafter Deutschkenntnisse nicht eingestellt werden, wenn die jeweilige Stelle gute Deutschkenntnisse zwingend erfordert. Zulässig ist auch die Ablehnung zum Beispiel der Bewerbung einer islamischen Erzieherin bei einer katholischen Kindertagesstätte. Zulässig sind unter bestimmten Umständen auch Ablehnungen wegen des Alters. 

Vom AGG nicht erfasst sind die Folgen, die sich aus einem bestimmten Rechtsstatus ergeben. Die temporäre Exklusion von Asylbewerber*innen vom Arbeitsmarkt per Gesetz stellt demnach keine Benachteiligung bzw. Diskriminierung dar. 

Das AGG ist zugleich die gesetzliche Grundlage für den Aufbau, die Aufgaben und die Rechte der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Die mit Inkrafttreten des AGG im Jahr 2006 eingesetzte Antidiskriminierungsstelle des Bundes arbeitet als unabhängige Einrichtung in Berlin mit dem Ziel, Diskriminierungsopfer zu unterstützen und das öffentliche Bewusstsein für Diskriminierung und ihre Folgen zu stärken. Zu ihren wichtigsten Aufgaben und Mitteln zur Umsetzung der Ziele gehören zum Beispiel Beratung von Diskriminierungsopfern und deren Unterstützerinnen und Unterstützer, Öffentlichkeitsarbeit, Umsetzung von Maßnahmen zur Verhinderung von Benachteiligungen sowie die Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen. Alle vier Jahre legt die Antidiskriminierungsstelle dem Deutschen Bundestag einen Bericht über ihre Arbeit vor.

Dank des AGG konnten viele Menschen inzwischen ihr Recht auf Gleichbehandlung durchsetzen. Gesellschaftliche Debatten wie die im Jahr 2018 stattgefundene #MeToo-Debatte über Gleichbehandlung zwischen den Geschlechtern oder die #MeTwo-Debatte über die Nichtanerkennung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, die in Deutschland geboren und hier aufgewachsen sind, aber dennoch aufgrund ihrer Herkunft, Muttersprache oder Religionszugehörigkeit benachteiligt werden, belegen, dass Diskriminierungen nach wie vor weit verbreitet sind - und auch ein Gesetz hier an seine Grenzen stößt. Erfahrungen von Diskriminierungen reichen von sprachlichen oder gestischen Beleidigungen über ausgrenzende Handlungen (z. B. bei der Vergabe von Wohnungen) bis hin zu institutionellen Diskriminierungen, wie sie zum Beispiel in Schulen bei der vielfach abwertenden Leistungsprognose für Schüler*innen mit ausländisch klingendem Familiennamen praktiziert werden. 

Im Rahmen dieser Debatte wurden in hohem Maße auch Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt thematisiert. Eine wissenschaftliche Studie des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) beispielsweise unterstreicht die regelmäßige massive Benachteiligung von Kopftuchträgerinnen bei Auswahlverfahren in der Wirtschaft. In der sozialen und der beratenden Arbeit haben sich Einrichtungen wie Beratungsstellen und Kompetenzzentren auf die Beratung und Unterstützung unterschiedlicher Zielgruppen in Fragen der Diskriminierung spezialisiert. 

In einigen Bundesländern haben sich zum Beispiel Netzwerke aus verschiedensten Einrichtungen gebildet, die sich im Schwerpunkt der Unterstützung von eingewanderten Diskriminierungsopfern in verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens verschrieben haben und die Öffentlichkeit kontinuierlich über Formen, Ursachen und Folgen der Diskriminierung aufklären. Einige der im Netzwerk "NRW gegen Diskriminierung" zusammengeschlossenen Organisationen zum Beispiel bieten Fortbildungen zur Diskriminierungsvermeidung und -bekämpfung für Entscheidungsträgerinnen und -träger aus Verwaltungen und Unternehmen an. 

Um Benachteiligungen und Diskriminierung insbesondere im Bereich der Beschäftigung und Qualifizierung zu vermeiden, stellt die "IQ Fachstelle Interkulturelle Kompetenzentwicklung und Antidiskriminierung" bundesweit Informations- und Beratungsdienste zur Verfügung. Ihre Arbeit hat dabei starke Berührungspunkte und Überschneidungen mit den Ansätzen der interkulturellen Öffnung, des Diversity Managements (siehe Diversity) und der antirassistischen Arbeit (siehe Rassismus). 

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